Grundbegriffe
der Politischen Bildung

Widerspruchstoleranz

Ein Widerspruch kann im alltäglichen Sprachgebrauch entweder die logische Unvereinbarkeit von Informationen zum gleichen Sachverhalt meinen oder aber die Äußerung einer gegensätzlichen Meinung von Person B auf die Äußerung von Person A. Der gewöhnliche Bedeutungssinn von Toleranz ist die Duldung oder auch ein „Aufgeschlossensein“, z.B. gegenüber anderen Menschen, Meinungen, Werten und Normen oder Einstellungen. Widerspruchstoleranz meint demnach das „Aushalten von und das Umgehen mit Mehrdeutigkeit und Widersprüchen“ (KIgA e.V. 2013: 6).

In der politischen Bildungsarbeit treffen Widersprüche und divergierende Einstellungen oder Interessen aufeinander. „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen“ (bpb 2011), so das Kontroversitätsgebot des Beutelsbacher Konsens. Hintergrund für dieses Prinzip der politischen Bildung ist die Annahme, dass „wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, […] der Weg zur Indoktrination beschritten“ (ebd.) ist. Widerspruchstoleranz in der politischen Bildung kann deshalb zum einen bedeuten, Teilnehmende zu befähigen und darin zu stärken, „stereotypisierende Darstellungen, Zuschreibungen und einseitige Bewertungen zu vermeiden, wenn ambivalente Erfahrungen, Emotionen und Erkenntnisse auf sie einwirken, und nicht die Realität der eigenen Wahrnehmung nach umzudeuten.“ (KIgA 2017: 10).

Zum anderen kann Widerspruchstoleranz in der politischen Bildung auch heißen, Menschen dabei zu unterstützen, Widersprüche auszuhalten und gegebenenfalls daran festzuhalten und dafür einzustehen. Nach Chantal Mouffe ist Kern des Politischen der Widerspruch oder Antagonismus. Leitend ist die Annahme, dass menschliche Gesellschaften immer konflikthaft und widersprüchlich sind (siehe Mouffe 2010: 16). Aufgabe einer demokratischen Politik sei deshalb die Schaffung einer „Sphäre des öffentlichen Wettstreits“ (a.a.O.: 10), z.B. in Form von Institutionen und formellen Rechtsgrundlagen (siehe a.a.O.: 30), in der solche gesellschaftlichen Konflikte ausgetragen werden. Nach dieser Auffassung kann politische Bildung als ein Raum einer solchen Sphäre öffentlichen Widerstreits gesehen werden. Denn politische Bildung bietet die Möglichkeit, über widersprüchliche politische Einstellungen zu einem Thema oder Sachverhalt zu diskutieren, ohne die bestehenden Widersprüche zu negieren.

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Transfer für Bildung e.V.

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Der Verein Transfer für Bildung e.V. setzt sich für die politische und kulturelle Bildung ein. Er fördert deren Beforschung, Beratung und Begleitung der Praxis und unterstützt den Dialog von Wissenschaft, Praxis und Politik in diesen Bereichen.

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Grundbegriffe der Politischen Bildung

Um Kontroversen, Positionen und Perspektiven in der Politischen Bildung einordnen zu können, braucht es Wissen um dahinterliegende Diskurse. Die Traditionslinien der Politischen Bildung schlagen sich dabei auch im Fachvokabular der Profession nieder. Die Begriffsprägungen zeigen somit Erkenntnisse, Konsense aber auch Konfliktlinien innerhalb des Fachdiskurses an. Der hierbei entstehende argumentative Dialog ringt dabei zugleich um Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam mit unseren Autor*innen aus der Politischen Bildung stellen wir an dieser Stelle Grundbegriffe der Politischen Bildung vor.

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