Grundbegriffe
der Politischen Bildung

Beutelsbacher Konsens

Der sogenannte Beutelsbacher Konsens wurde auf einer Tagung politischer Bildner*innen formuliert, die von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 1976 in Beutelsbach ausgerichtet wurde. Er war eine markante Reaktion auf die damaligen Debatten und Auseinandersetzungen über Grundlagen und Ziele politischer Bildung in der Politikdidaktik und der Bildungspolitik. So wurde etwa seinerzeit über neue Rahmenrichtlinien für den Politikunterricht an Schulen in Hessen und NRW heftig gestritten. Der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling hielt auf dieser Tagung drei Prinzipien fest, die, als professionelles Selbstverständnis politischer Bildung (vgl. Overwien 2019), zu dieser Zeit über Parteien und politische Positionen hinweg (minimal-)konsensfähig erschienen.

  1. „Überwältigungsverbot. Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der ‚Gewinnung eines selbstständigen Urteils‘ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.
  2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten.
  3. Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen“ (Wehling 1977).

Die Kernpunkte des Beutelsbacher Konsenses werden bis heute als pragmatische Regelung und Referenz für die schulische und außerschulische politische Bildung, so auch als Orientierungsrahmen der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), aufgerufen. Allerdings gilt es, diese Standards – ebenso wie die Ausrichtung politischer Bildung – stetig neu zu diskutieren und zu überprüfen (vgl. Krüger 2020) sowie entsprechend den aktuellen gesellschaftlichen Realitäten und politischen Debatten „zeitgemäß zu interpretieren“ (Widmaier 2016: 103). Wissenschafter*innen und Prakter*innen leisten damit unter anderem Widerstand gegen (rechts-)populistische Bestrebungen, die Prinzipien des Beutelsbacher Konsenses auf ein sogenanntes Neutralitätsgebot zu verengen und dies z. B. als Strategie zur Delegitimation emanzipatorischer Kinder- und Jugendarbeit (vgl. Sämann 2021) einzusetzen.

Weiterlesen:

  • Krüger, Thomas (2020): Beutelsbach 2.0 – zehn Thesen zur politischen Bildung. In: Hentges, Gudrun (Hrsg.): Krise der Demokratie – Demokratie in der Krise? Gesellschaftsdiagnosen und Herausforderungen für die politische Bildung. Frankfurt a.M., S. 177-193
  • Overwien, Bernd (2019): Politische Bildung ist nicht neutral. In: WOCHENSCHAU Verlag Dr. Kurt Debus GmbH (Hrsg.): Shrinking Spaces. Demokratie gegen Menschenfeindlichkeit. Zeitschrift für Wissenschaft und Praxis. Frankfurt, S. 26-38
  • Sämann, Jana (2021): Neutralitätspostulate als Delegitimationsstrategie. Eine Analyse von Einflussnahmeversuchen auf die außerschulische politische Jugendbildungsarbeit. Frankfurt a.M.
  • Wehling, Hans-Georg (1977): Konsens à la Beutelsbach? Nachlese zu einem Expertengespräch. In: Schiele, Siegfried / Schneider, Herbert (Hrsg.): Das Konsensproblem in der politischen Bildung. Stuttgart, S. 173-184
  • Widmaier, Benedikt (2016): Eine Marke für alle? Der Beutelsbacher Konsens in der non-formalen politischen Bildung. In: Widmaier, Benedikt / Zorn, Peter (Hrsg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Debatte der politischen Bildung. Bonn. Schriftenreihe Bundeszentrale für politische Bildung/bpb (Bd. 1793), S. 96-11
Transfer für Bildung e.V.

Transfer für Bildung e.V.

Der Verein Transfer für Bildung e.V. setzt sich für die politische und kulturelle Bildung ein. Er fördert deren Beforschung, Beratung und Begleitung der Praxis und unterstützt den Dialog von Wissenschaft, Praxis und Politik in diesen Bereichen.

Dieser Artikel ist Teil von:

Grundbegriffe der Politischen Bildung

Um Kontroversen, Positionen und Perspektiven in der Politischen Bildung einordnen zu können, braucht es Wissen um dahinterliegende Diskurse. Die Traditionslinien der Politischen Bildung schlagen sich dabei auch im Fachvokabular der Profession nieder. Die Begriffsprägungen zeigen somit Erkenntnisse, Konsense aber auch Konfliktlinien innerhalb des Fachdiskurses an. Der hierbei entstehende argumentative Dialog ringt dabei zugleich um Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam mit unseren Autor*innen aus der Politischen Bildung stellen wir an dieser Stelle Grundbegriffe der Politischen Bildung vor.

→ Zur Übersicht der  Grundbegriffe

Vertiefende Dossiers

Diversität
Die Pluralität unserer Gesellschaft muss sich auch in der Didaktik guter politischer Bildung widerspiegeln. Dieses Dossier zeichnet die Grundlagen des didaktischen Umgangs mit Heterogenität nach und führt in die Überlegungen zur Diversität ein.
Dossier
Digitale Praxis
Die politische Erwachsenenbildung wendet sich aktuell vermehrt digitalen Bildungsmöglichkeiten zu und stellt dabei ihre Angebote um. Es ist also höchste Zeit zu reflektieren, wie eine gute, digitale Praxis der politischen Erwachsenenbildung aussehen kann.
Dossier
Geschichte
Die Geschichte der politischen Erwachsenenbildung ist in Deutschland eine lebhafte. Um die heutige Prägung einordnen zu können, bedarf es einer historischen Kontextualisierung, die den verschiedenen Entwicklungsströmen nachspürt und sichtbar macht.
Dossier
Gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung