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WIE GEHT GUTE POLITISCHE BILDUNG?
Migrationsbezogene Diversitätskompetenzen in der (politischen) Erwachsenenbildung
Der Erwerb von Diversitätskompetenzen gilt als gängige Strategie der Professionalisierung, obwohl in Wissenschaft und Praxis keineswegs Einigkeit herrscht, was unter Diversitätskompetenzen zu verstehen ist. Der Beitrag von Vera Lüneberg & Prof. Dr. Halit Öztürk führt daher in den entsprechenden Diskurs ein und skizziert ein Verständnis migrationsbezogener Diversitätskompetenzen in der (politischen) Erwachsenenbildung.
Einleitung
→ Inhalt
Als zentrale Akteur*innen des Bildungsprozesses stehen hier allen voran die Erwachsenen in all ihrer Diversität als mündige und freiwillige Lernende im Mittelpunkt, die stets mit einem „biografischen Rucksack“ die vielfältigen Lernorte der Erwachsenenbildung betreten, der „Erfahrungen und Erwartungen, erfreuliche und unangemessene Erinnerungen, Erfolge und Misserfolge, Gefühle und Wahrnehmungen, Spiegelneuronen und Vorurteile…“3 enthält. Und spätestens hier brauchen sie nicht nur lebendige und verständliche Vermittlung etwa von Fachwissen und Handlungskompetenzen, sondern insbesondere Anerkennung und Wertschätzung ihrer Person und Leistungen. Schon allein aus dieser Perspektive wird die Relevanz und Notwendigkeit von Diversitätskompetenzen in der Erwachsenenbildung deutlich. Dies setzt die Professionalität allen voran der in der Erwachsenenbildung tätigen Personen voraus4.
Als Mittel zur Sicherung beruflicher Professionalität in der Erwachsenenbildung nehmen Diversitätskompetenzen, vermittelt in entsprechenden Kompetenztrainings, eine zentrale Rolle ein. Ungeachtet der zuvor beschriebenen Normalität der Diversität von Teilnehmenden der Erwachsenenbildung werden Diversitätskompetenzen dabei insbesondere für den „Umgang“ mit spezifischen Gruppen von Teilnehmenden im beruflichen Alltag von Erwachsenenbildner*innen diskutiert. Darunter fallen insbesondere Erwachsene mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“. Trotz der Popularität entsprechender Ansätze sind Verständnisse von allgemeinen wie auch migrationsbezogenen Diversitätskompetenzen dabei keineswegs einfach zu bestimmen, sondern Bestandteil einer komplexen Debatte. Vor diesem Hintergrund führt dieser Beitrag zunächst in das Begriffsverständnis von Diversitätskompetenzen ein und eröffnet anschließend einen Einblick in den komplexen und kontroversen Diskurs um migrationsbezogene Diversitätskompetenzen. Abschließend skizziert der Beitrag ein spezifisches Verständnis migrationsbezogener Diversitätskompetenzen in der Erwachsenenbildung und bezieht dabei auch die Besonderheiten des Feldes der politischen Erwachsenenbildung ein.
Was sind Diversitätskompetenzen?
Der Versuch, die Frage zu beantworten, was Diversitätskompetenzen eigentlich überhaupt sind, offenbart zugleich eine Kernproblematik der Debatte um Diversitätskompetenzen: Es gibt bei Weitem keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage. Zwar existieren zahlreiche Definitionen von Diversitätskompetenzen, die jeweils jedoch sehr unterschiedliche Perspektiven, Ziele und Fähigkeiten in den Fokus stellen. Gemein hat die Mehrheit der Definitionen von Diversitätskompetenzen, dass darunter Strategien und Fähigkeiten im Umgang mit Diversität verstanden werden. Wer diese Strategien und Fähigkeiten jedoch in welchem Kontext, warum und auf welche Art und Weise anwenden soll, variiert je nach Definitionsansatz erheblich5. Die vorhandenen Definitionen von Diversitätskompetenzen und deren unterschiedliche Schwerpunktsetzungen sind dabei letztlich immer Spiegel eines weitverzweigten und kontrovers geführten Diskurses."Gemein hat die Mehrheit der Definitionen von Diversitätskompetenzen, dass darunter Strategien und Fähigkeiten im Umgang mit Diversität verstanden werden. Wer diese Strategien und Fähigkeiten jedoch in welchem Kontext, warum und auf welche Art und Weise anwenden soll, variiert je nach Definitionsansatz erheblich."
Vera Lüneberg & Prof. Dr. Halit Öztürk
Im Kontext migrationsbezogener Diversitätskompetenzen wird die Diffusität des Diskurses noch durch die Tatsache verschärft, dass dieser inhaltlich nicht vom Feld der interkulturellen Kompetenzen zu trennen ist, das die Debatte in Deutschland bislang deutlich dominiert. Dabei wird der Diskurs um interkulturelle Kompetenzen gleichsam kontrovers geführt, zeigt sich aufgrund der größeren Aufmerksamkeit jedoch noch komplexer6. Somit ist es nicht verwunderlich, dass auch die Frage nach dem Verhältnis beider Ansätze nicht ohne Weiteres zu beantworten ist. Rein konzeptionell greift der Ansatz migrationsbezogener Diversitätskompetenzen auf das Diversitätsparadigma zurück und hebt damit hervor, dass ein sogenannter „Migrationshintergrund“ nur eine Diversitätsfacette unter vielen ist, die eine Person ausmacht. Der Ansatz interkultureller Kompetenzen hingegen greift auf das Interkulturalitätsparadigma zurück und stellt damit Kultur als zentrale Differenzkategorie in Migrationsdebatten in den Fokus7.
Neben diesen konzeptionellen Fragen zeigt die Praxis jedoch, dass die Diskurse um migrationsbezogene Diversitätskompetenzen und interkulturelle Kompetenzen deutliche Parallelen aufweisen und Unterschiede vielmehr durch die kontroversen Perspektiven innerhalb der Ansätze, als durch die Paradigmen Diversität und Interkulturalität selbst bedingt werden8. Zurückkommend auf die Frage, was nun eigentlich Diversitätskompetenzen sind, lässt sich also insgesamt festhalten, dass hierüber nicht einzelne Definitionen oder Abgrenzungen zum Ansatz interkultureller Kompetenzen Aufschluss geben können, sondern es eines grundlegenden Verständnisses der häufig widersprüchlichen Positionen im Diskurs bedarf.
Der Diskurs um migrationsbezogene Diversitätskompetenzen
(a) Kulturverständnis
"Während in der Migrationsforschung weitestgehend Konsens darüber besteht, dass geschlossene Kulturverständnisse aufgrund der dargelegten Kritik offener Kulturverständnisse nicht mehr ausreichend erklärungskräftig sind, sondern vielmehr Stereotype reproduzieren, bleibt der öffentliche Diskurs von dieser Entwicklung häufig unberührt."
Vera Lüneberg & Prof. Dr. Halit Öztürk
Offene Kulturverständnisse verstehen sich hingegen als Kritik und Gegenpol zu geschlossenen Kulturverständnissen. Sie gehen davon aus, dass Kultur Individuen zwar prägen, aber nicht determinieren kann und Kultur einerseits immer individuell gestaltet und gelebt und andererseits in gesellschaftlichen Streitprozessen dynamisch angepasst und verändert wird. Demnach lehnen offene Kulturverständnisse auch Vorstellungen von Nationalkulturen ab, da nationalstaatliche Grenzen nicht über individuelle kulturelle Ausdruckformen entscheiden. Zudem existieren auch innerhalb nationalstaatlicher Grenzen beispielsweise Sub-, Jugend- und Regionalkulturen, bei denen Mehrfachzugehörigkeiten die Normalität darstellen und die wiederum ebenfalls individuell ausgelebt werden14.
Während in der Migrationsforschung weitestgehend Konsens darüber besteht, dass geschlossene Kulturverständnisse aufgrund der dargelegten Kritik offener Kulturverständnisse nicht mehr ausreichend erklärungskräftig sind, sondern vielmehr Stereotype reproduzieren, bleibt der öffentliche Diskurs von dieser Entwicklung häufig unberührt. Hier sind geschlossene Kulturverständnisse bzw. daran angelehnte Argumentationsmuster nach wie vor sehr präsent15.
(b) Standardisierbarkeitsverständnis
Kontroverse Positionen lassen sich auch in der Frage, inwiefern Diversitätskompetenzen als standardisierbare Fähigkeiten verstanden werden können, identifizieren. Hier stehen sich technologische und reflexive Verständnisse gegenüber:
Technologische Verständnisse verstehen Diversitätskompetenzen als eine Art Werkzeug, mit dessen Einsatz sich Missverständnisse vermeiden lassen und diversitätskompetentes Handeln gelingt. Die Basis dieses Werkzeuges ist meist, Wissen über „Andere“ zu erlangen, beispielsweise in Form von landeskundlichem Wissen, typischen Verhaltensweisen oder kulturellen Besonderheiten. Technologische Verständnisse neigen dazu, dieses Wissen über „Andere“ zu allgemeingültigen Standards zusammenzufassen und sind damit naturgemäß besonders anschlussfähig an geschlossene Kulturverständnisse16. In der Praxis zeigt sich, dass mit einer steigenden Anwendungsorientierung in Maßnahmen zur Vermittlung von Diversitätskompetenzen auch ein steigender Rückgriff auf nationalkulturelle Vorstellungen einhergeht17.
Reflexive Verständnisse lehnen eine technologische Perspektive ab und plädieren dafür, Diversitätskompetenzen nicht als Fähigkeiten zu betrachten, die sich einmalig aneignen und erlernen lassen, sondern als andauernden reflexiven Prozess. Denn aus der Perspektive reflexiver Verständnisse lässt sich abstraktes Wissen in diversitätsbezogenen Situationen nicht standardisiert anwenden, sondern erfordert immer einen Bezug auf den Einzelfall und die individuelle Lebensgestaltung von Menschen im Wechselspiel mit den gesellschaftlichen Bedingungen, die Menschen und ihre Vorstellungen prägen. Erst diese Anerkennung der Unmöglichkeit einer Standardisierung ermöglicht aus Sicht reflexiver Verständnisse überhaupt ein diversitätskompetentes Handeln. Somit sind technologische Verständnisse von Diversitätskompetenzen aus Sicht reflexiver Verständnisse zwar in der Praxis einfacher zu vermitteln, überhöhen aber deutlich die Möglichkeiten von Diversitätskompetenzen und führen unter dem Deckmantel von Professionalisierungsmaßnahmen letztlich zu einer Deprofessionalisierung des Handelns18.
(c) Begründungsparadigmen
Während über die grundlegende Bedeutsamkeit von Diversitätskompetenzen in der Regel Einigkeit besteht, zeigen sich bei der Begründung jener Bedeutsamkeit wiederum erhebliche Unterschiede. Diese lassen sich in zwei grundsätzliche Begründungsmuster unterscheiden: Das Bewältigungsparadigma und das Normalitätsparadigma.
Innerhalb des Bewältigungsparadigmas wird die Notwendigkeit von Diversitätskompetenzen damit begründet, dass im Kontext von Migration der Kontakt zwischen Menschen mit einem sogenannten „Migrationshintergrund“ und Menschen ohne einen sogenannten „Migrationshintergrund“ Herausforderungen mit sich bringt, da beispielsweise kulturelle Überschneidungssituationen die „normale“ soziale Handlungsfähigkeit von Menschen überfordern und zu Missverständnissen und Konflikten führen können. Insbesondere in einem professionellen beruflichen Kontext werden Diversitätskompetenzen in der Folge im Rahmen des Bewältigungsparadigmas als notwendige Sonderkompetenzen angeführt, um migrationsbedingte Anforderungen zu bewältigen19.
Vertreter*innen des Normalitätsparadigmas führen hingegen an, dass nicht von nationalen oder vermeintlich kulturellen Zugehörigkeiten auf individuelle Eigenschaften und Verhaltensweisen geschlossen werden und daher auch nicht pauschal von migrationsbedingten Konflikten ausgegangen werden kann. Vielmehr zeigt die vorhandene Pluralität menschlicher Lebensformen und die gleichzeitige Auslebung unterschiedlicher kultureller Ausdrucksformen, dass der Kontakt zwischen Menschen immer und zwangsläufig zumindest punktuell „interkulturell“ und damit Normalität ist20. Aus Perspektive des Normalitätsparadigmas ist daher von Interesse, welche gesellschaftlichen Strukturen dazu führen, dass Lebensformen als normal oder als unnormal angesehen werden21.
Migrationsbezogene Diversitätskompetenzen in der (politischen) Erwachsenenbildung
Von A wie „Alltags- und Lebensweltorientierung“ bis Z wie „Zielgruppenarbeit“ betrachten wir, auf welchen Begriffen die Diskurse rund um die Politische Bildung aufbauen.
Als Reflexionsfolie für diese Auseinandersetzung mit sich selbst können dabei wie bereits erwähnt auch die zuvor dargelegten Diskurslinien dienen, denn sie ermöglichen nicht nur die Entwicklung und Reflexion eines eigenen Verständnisses migrationsbezogener Diversitätskompetenzen, sondern sind gleichzeitig auch Resultat des gesellschaftlichen Diskurses über Migration und damit Spiegel möglicher Vorannahmen und gesellschaftlicher Prägungen. Da Diversitätskompetenzen in der Regel in Trainingsformaten als Professionalisierungsmaßnahme vermittelt werden, sind diese ein geeigneter Ort, Reflexionsprozesse anzustoßen und reflexives „Rüstzeug“ zu vermitteln. Die Funktion der Diskurslinien als Reflexionsfolie kann im Folgenden am Beispiel von Beobachtungen aus einem migrationsbezogenen Diversitätskompetenz-Training für Kursleitende in der Erwachsenenbildung verdeutlicht werden:
Beobachtungen aus einem Diversitätskompetenz-Workshop:
Im Rahmen eines beruflichen Weiterbildungstages findet ein 90-minütiger Workshop zum Thema „Diversitätskompetenzen im Umgang mit kultureller Vielfalt“ statt, an dem Kursleitende der Erwachsenenbildung teilnehmen. Der Workshop beginnt mit einer thematischen Einführung zu Kultur und interkulturellen Konflikten, bei der auch auf die individuelle Gestaltung kultureller Lebensformen verwiesen wird. Eine anschließende Bearbeitung von Fallbeispielen soll den Kursleitenden helfen, die vorgetragenen Inhalte auf ihre Lehrpraxis zu übertragen. Die Diversitäts-Trainerin stellt daraufhin den Fall einer Teilnehmerin, die ein Kopftuch trägt, vor, die nach der ersten Sitzung nicht mehr zu einem Kurs erschien, nachdem sie für eine Gruppenarbeit mit einem männlichen Teilnehmenden eingeteilt wurde. Der Fall wird diskutiert, schnell einigen sich die Workshop-Teilnehmenden darauf, dass Kursleitende für ein diversitätskompetentes Handeln darauf achten müssten, Teilnehmerinnen, die ein Kopftuch tragen, besser nur mit weiblichen Teilnehmerinnen einzuteilen. Vereinzelte kritische Einwände, dass man doch gar nichts über die Gründe für das Fernbleiben der Teilnehmerin wisse und eine gewisse Fluktuation gerade zu Kursbeginn normal sei, werden zwar angehört, aber letztlich nicht in die Erarbeitung von Lösungsvorschlägen einbezogen. Auch die Diversitäts-Trainerin antwortet, dass natürlich jeder Fall unterschiedlich sei, scheint die Einwände aber dennoch eher als störend zu empfinden. Der Analyserahmen der Situation ist damit gesteckt, viele Workshop-Teilnehmende machen sich Notizen. In der Abschlussrunde meldet ein Teilnehmer zurück, dass er sehr dankbar für die handfesten Hinweise sei und sich nun besser vorbereitet fühle.
Das Beispiel zeigt, wie konkret sich die Diskurslinien in der Trainingspraxis von Diversitätskompetenz-Trainings widerspiegeln können. Zwar wird im Rahmen der Einführung des Workshops zu Kultur darauf verwiesen, dass Individuen kulturelle Lebensweisen unterschiedlich ausgestalten. Die Interpretation des anschließenden Fallbeispiels macht dennoch deutlich, dass dieses Verständnis in der Praxis keine Anwendung findet, sondern ein geschlossenes Kulturverständnis zugrunde gelegt wird, indem vom Tragen eines Kopftuches auf persönliche Eigenschaften bzw. Empfindungen geschlossen wird. Zugleich zeigt sich, dass durch die Erarbeitung allgemeingültiger Handlungsempfehlungen ein technologisches Verständnis vertreten wird, während die thematische Einführung zu interkulturellen Konflikten gleichzeitig ein Bewältigungsverständnis vermuten lassen. In dem konkreten Beispiel werden also implizit Positionen im Diskurs um migrationsbezogene Diversitätskompetenzen vermittelt, die eine Deutung der Situation rahmen und zugleich gesellschaftlich anschlussfähige, aber migrationswissenschaftlich problematische Erklärungsmuster bereitstellen. In der beschriebenen Workshopsituation hätten das Fallbeispiel und die Interpretationen der Teilnehmenden dagegen ebenso genutzt werden können, um die vorhandenen Kulturverständnisse der Teilnehmenden, ihre Vorstellungen von Standardisierbarkeit sowie ihre Begründungsperspektiven auf die Notwendigkeit der Erlangung migrationsbezogener Diversitätskompetenzen zu reflektieren und damit eine grundlegende reflexive und kontingenzorientierte Perspektive zu vermitteln.
"Ein reflexives und kontingenzorientiertes Verständnis von Diversitätskompetenzen, das grundlegende Einblicke in den dazugehörigen Diskurs und dessen gesellschaftliche Thematisierungsweisen gewährt, zielt gerade auf die Entwicklung von Orientierung und Urteilsfähigkeit und ermöglicht ein selbstbestimmtes Verständnis migrationsbezogener Diversitätskompetenzen."
Vera Lüneberg & Prof. Dr. Halit Öztürk
Fazit
Es gibt keine eindeutige Definition von Diversitätskompetenzen, das wurde zuvor deutlich. Aufschlussreicher als einzelne Definitionen ist für ein Verständnis von migrationsbezogenen Diversitätskompetenzen daher ein Verständnis des entsprechenden Diskurses und der damit verbundenen, teils kontroversen Positionen. Dieses Diskursverständnis kann als Reflexionsfolie der Entwicklung einer eigenen Position dienen und gleichzeitig die Reflexion vorhandener migrationsbezogener Vorannahmen und gesellschaftlicher Prägungen strukturieren. So sind auch für die Erwachsenenbildung und deren Kompetenzanforderungen im Lehrhandeln neben dem Diskursverständnis insbesondere eine ausgeprägte Reflexionsfähigkeit sowie ein Kontingenzbewusstsein zentrale Metakompetenzen eines diversitätskompetenten professionellen Handelns im Kontext migrationsbezogener Diversität. Die Formulierung „migrationsbezogen“ verdeutlicht dabei, dass in diesem Verständnis von Diversitätskompetenzen nicht der „Umgang“ mit Migration oder das Erlernen spezifisch notwendig gewordener Kompetenzen aufgrund von Migration das Ziel sind, sondern ein Verständnis vorhandener gesellschaftlicher Deutungen von Migration sowie daraus entstehender Anforderungen an Diversitätskompetenzen. Dieses Verständnis migrationsbezogener Diversitätskompetenzen weist eine deutliche Anschlussfähigkeit an Ziele und Themen der politischen Erwachsenenbildung auf.
In der Folge zeigt sich jedoch ein Dilemma, dass Oskar Negt37 bereits für die politische Bildung formulierte: „Politische Bildung kann nicht gelingen, wenn die Systemfrage ausgeklammert bleibt. Das macht die Sache des gesellschaftlichen Lernens kompliziert und unübersichtlich“. Auch eine Professionalisierung durch migrationsbezogene Diversitätskompetenzen kann nicht gelingen, wenn gesellschaftliche Bedingungen der Thematisierung von Diversität und Migration ausgeklammert bleiben. Und auch dies macht das Feld der migrationsbezogenen Diversitätskompetenzen und deren Erwerb bedeutend komplizierter und unübersichtlicher, als es bei einem Rückgriff auf standardisierte und an gängige Normalitätsvorstellungen anschlussfähige Erklärungsmuster der Fall ist. Doch der Erwerb von migrationsbezogenen Diversitätskompetenzen benötigt Phasen der Irritation, wenn eine Reproduktion gesellschaftlicher Machtstrukturen nicht bereits in entsprechenden Trainingsformaten und -konzepten angelegt werden soll. Dies ist mitunter anstrengend und erfordert Ressourcen, Kontinuität und nicht zuletzt tragfähige Konzepte eines Theorie-Praxis-Transfers, ist aber für eine wirkliche Professionalisierung letztlich alternativlos.
Vera Lüneberg
M.A., Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Erwachsenenbildung/Weiterbildung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind: Weiterbildungsforschung, Diversitätskompetenzen sowie Alphabetisierung und Grundbildung.
Prof. Dr. Halit Öztürk
Universitätsprofessor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Adressat*innen- und Teilnehmenden- sowie Organisationsforschung, diversitätsorientierte Organisations- und Personalentwicklung, Begleitforschung/Evaluation im Weiterbildungsbereich.
1 BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hg.) (2021): Weiterbildungsverhalten in Deutschland 2020. Ergebnisse des Adult Education Survey – AES-Trendbericht, verfügbar unter: https://www.bmbf.de/SharedDocs/Publikationen/de/bmbf/1/31690_AES-Trendbericht_2020.pdf?__blob=publicationFile&v=4 (Zugriffsdatum: 03.02.2022) [↩]
2 Schrader, Josef & Martin, Andreas (2021): Weiterbildungsanbieter in Deutschland: Befunde aus dem DIE-Weiterbildungskataster, Zeitschrift für Weiterbildungsforschung (ZfW), 44, S. 333-360. [↩]
3 Siebert, Horst (2017): Lernen und Bildung Erwachsener, Beck Verlag, Bielefeld. [↩]
4, 5, 8, 9, 12, 13, 20, 23, 24, 26, 28 Lüneberg, Vera & Öztürk, Halit (2021): Migrationsbezogene Diversitätskompetenzen und Professionalität in der Erwachsenen- und Weiterbildung, in: Öztürk, Halit (Hg.): Diversität und Migration in der Erwachsenen- und Weiterbildung, Bielefeld, S. 159-211. [↩] [↩] [↩] [↩] [↩] [↩] [↩] [↩] [↩] [↩] [↩]
6 Kalpaka, Annita & Mecheril, Paul (2010): „Interkulturell“. Von spezifisch kulturalistischen Ansätzen zu allgemein reflexiven Perspektiven, in: Andresen, Sabine & Hurrelmann, Klaus & Palentien, Christian & Schröer, Wolfgang (Hrsg.): Migrationspädagogik, Weinheim & Basel, S. 77-98. Siehe auch: Groß, Andreas (2019): Lehren und Lernen in der interkulturellen Weiterbildung, in: Leenen, Wolf Rainer (Hrsg.): Handbuch Methoden interkultureller Weiterbildung, Göttingen, S. 200-223. [↩] [↩]
7 Öztürk, Halit & Schuldes, Daniela (2014): Professionalität und Weiterbildung – Herausforderungen in einer modernen Einwanderungsgesellschaft, in: Öztürk, Halit: Migration und Erwachsenenbildung, Bielefeld, S. 81-106. Siehe auch: Kalpaka, Annita & Mecheril, Paul (2010): „Interkulturell“. Von spezifisch kulturalistischen Ansätzen zu allgemein reflexiven Perspektiven, in: Andresen, Sabine & Hurrelmann, Klaus & Palentien, Christian & Schröer, Wolfgang (Hrsg.): Migrationspädagogik, Weinheim & Basel, S. 77-98. [↩]
10 Römhild, Regina (2014): Diversität?! Postethnische Perspektiven für eine reflexive Migrationsforschung, in: Nieswand, Boris & Drotbohm, Heike (Hrsg.): Kultur, Gesellschaft, Migration. Die reflexive Wende in der Migrationsforschung, Wiesbaden, S. 255-270. Siehe auch: Heite, Catrin & Vorrink, Andrea J. (2018): Diversity, in: Böllert, Karin (Hrsg.): Kompendium Kinder- und Jugendhilfe, Wiesbaden, S. 1147-1158. [↩]
11 Lüddemann, Stefan (2019): Kultur. Eine Einführung, Wiesbaden. [↩]
13 Sökefeld, Martin (2015): Das Paradigma kultureller Differenz, in: Sökefeld, Martin (Hrsg.): Jenseits des Paradigmas kultureller Differenz. Neue Perspektiven auf Einwanderer aus der Türkei, Bielefeld, S. 9-33. Siehe auch: Leiprecht, Rudolf (2004): Kultur – Was ist das eigentlich? Arbeitspapiere IBKM No. 7, verfügbar unter: https://uol.de/f/1/inst/paedagogik/personen/rudolf.leiprecht/Kulturtextveroeffentl..pdf?&sa=U&ei=yJEeVPWzGoSWatyWgdgN&ved=0CDgQFjAF&usg=AFQjCNEioTyg8N-whPsaHuNhatKD4yDdQQ (Zugriffsdatum: 03.02.2022). Siehe zusätzlich: Mecheril, Paul (2013): „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Pädagogisches Handeln unter Einwanderungsbedingungen, in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität, Wiesbaden, S. 15-35. [↩]
14 Leiprecht, Rudolf (2018): Diversitätsbewusste Perspektiven für eine Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft, in: Blank, Beate & Gögercin, Süleyman & Sauer, Karin E. & Schramkowski, Barbara (Hrsg.): Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Grundlagen, Konzepte, Handlungsfelder, S. 209-220, Wiesbaden. Siehe auch Gogolin, Ingrid & Krüger-Potratz, Marianne (2020): Einführung in die interkulturelle Pädagogik, Opladen & Toronto. [↩]
15 Sarma, Olivia (2012): KulturKonzepte. Ein kritischer Diskussionsbeitrag für die interkulturelle Bildung, verfügbar unter: https://amka.de/sites/default/files/2018-05/KulturKonzepte_2012.pdf (Zugriffsdatum: 03.02.2022). Siehe auch: Koch, Ute (2018): Vielfalt, Differenz und ‚interkulturelle Kompetenz‘ im Diskurs, in: Blank, Beate & Gögercin, Süleyman & Sauer, Karin E. & Schramkowski, Barbara (Hrsg.): Soziale Arbeit in der Migrationsgesellschaft. Grundlagen, Konzepte, Handlungsfelder, S. 187-198, Wiesbaden. [↩]
16 Lüneberg, Vera & Öztürk, Halit (2021): Migrationsbezogene Diversitätskompetenzen und Professionalität in der Erwachsenen- und Weiterbildung, in: Öztürk, Halit (Hg.): Diversität und Migration in der Erwachsenen- und Weiterbildung, Bielefeld, S. 159-211. Siehe auch: Kalpaka, Annita & Mecheril, Paul (2010): „Interkulturell“. Von spezifisch kulturalistischen Ansätzen zu allgemein reflexiven Perspektiven, in: Andresen, Sabine & Hurrelmann, Klaus & Palentien, Christian & Schröer, Wolfgang (Hrsg.): Migrationspädagogik, Weinheim & Basel, S. 77-98. Und: Mecheril, Paul (2013): „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Pädagogisches Handeln unter Einwanderungsbedingungen, in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität, Wiesbaden, S. 15-35. [↩]
17, 21 Mecheril, Paul (2013): „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Pädagogisches Handeln unter Einwanderungsbedingungen, in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität, Wiesbaden, S. 15-35. Siehe auch: Sökefeld, Martin (2015): Das Paradigma kultureller Differenz, in: Sökefeld, Martin (Hrsg.): Jenseits des Paradigmas kultureller Differenz. Neue Perspektiven auf Einwanderer aus der Türkei, Bielefeld, S. 9-33. [↩] [↩]
18 Mecheril, Paul (2013): „Kompetenzlosigkeitskompetenz“. Pädagogisches Handeln unter Einwanderungsbedingungen, in: Auernheimer, Georg (Hrsg.): Interkulturelle Kompetenz und pädagogische Professionalität, Wiesbaden, S. 15-35. Siehe auch: Sökefeld, Martin (2015): Das Paradigma kultureller Differenz, in: Sökefeld, Martin (Hrsg.): Jenseits des Paradigmas kultureller Differenz. Neue Perspektiven auf Einwanderer aus der Türkei, Bielefeld, S. 9-33. Siehe dazu: Riegel, Christine (2014): Diversity-Kompetenz? – Intersektionale Perspektiven der Reflexion, Kritik und Veränderung, in: Faas, Stefan & Bauer, Petra & Treptow, Rainer (Hrsg.): Kompetenz, Performanz, soziale Teilhabe. Sozialpädagogische Perspektiven auf ein bildungstheoretisches Konstrukt, Wiesbaden, S. 183-195. Siehe dazu auch: Lüneberg, Vera & Öztürk, Halit (2021): Migrationsbezogene Diversitätskompetenzen und Professionalität in der Erwachsenen- und Weiterbildung, in: Öztürk, Halit (Hg.): Diversität und Migration in der Erwachsenen- und Weiterbildung, Bielefeld, S. 159-211. [↩]
19 Thomas, Alexander (2011): Das Kulturstandardkonzept, in: Dreyer, Wilfried & Hößler, Ulrich: Perspektiven interkultureller Kompetenz, Göttingen, S. 97-124. Siehe auch: Kunz, Thomas (2016): Von interkultureller Kompetenz zu Vielfaltskompetenz? Zur Bedeutung von Interkultureller Kompetenz und möglicher Entwicklungsperspektiven, in: Genkova, Petia & Ringeisen, Tobias (Hrsg.): Handbuch Diversity Kompetenz, Gegenstandsbereiche, Band 2, Wiesbaden, S. 13-32. [↩]
22 Siebert, Horst (2019): Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Didaktik aus konstruktivistischer Sicht, Augsburg. [↩]
25 Strauch, Anne & Lencer, Stefanie & Bosche, Brigitte & Gladkova, Valentyna & Schneider, Marlis & Trevino-Eberhard, Diana (2019): GRETA – kompetent handeln in Training, Kurs und Seminar, verfügbar unter: https://www.die-bonn.de/id/37005 (Zugriffsdatum: 04.02.2022). [↩]
27 Joas, Hans (2012): Das Zeitalter der Kontingenz, in: Toens, Katrin & Willems, Ulrich (Hrsg.): Politik und Kontingenz, Wiesbaden, S. 25-38. [↩]
29 Hufer, Klaus-Peter (2022): Politische Bildung in der Erwachsenenbildung, in: Sander, Wolfgang & Pohl, Kerstin (Hrsg.): Handbuch politische Bildung, Frankfurt a.M., S. 168-175. [↩]
30 Zeuner, Christine (2018): Politische Bildung in unsicheren Zeiten, in: Grotlüschen, Anke & Schmidt-Lauff, Sabine & Schreiber-Barsch, Silke & Zeuner, Christine (Hrsg.): Das Politische in der Erwachsenenbildung, Frankfurt a.M., S. 94-99. Siehe dazu auch: Hufer, Klaus-Peter (2022): Politische Bildung in der Erwachsenenbildung, in: Sander, Wolfgang & Pohl, Kerstin (Hrsg.): Handbuch politische Bildung, Frankfurt a.M., S. 168-175. Und: Mecheril, Paul & Streicher, Noelia (2016): Politische Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft, in: Hufer, Klaus-Peter & Lange, Dirk (Hrsg.): Handbuch politische Erwachsenenbildung, Schwalbach/Ts., S. 163-172. [↩]
31 Hufer, Klaus-Peter (2022): Politische Bildung in der Erwachsenenbildung, in: Sander, Wolfgang & Pohl, Kerstin (Hrsg.): Handbuch politische Bildung, Frankfurt a.M., S. 168-175. Siehe auch: Achour, Sabine (2022): Gesellschaftliche Diversität: Herausforderungen und Ansätze, in: Sander, Wolfgang & Pohl, Kerstin (Hrsg.): Handbuch politische Bildung, Frankfurt a.M., S. 365-373. Dazu: Menke, Barbara (2014): Multiprofessionalität als Chance! Professionalisierung in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, Zeitschrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, 1, S. 15-19. [↩]
32 Negt, Oskar (2016): Versuch einer Ortsbestimmung der politischen Bildung, in: Hufer, Klaus-Peter & Lange, Dirk (Hrsg.): Handbuch politische Erwachsenenbildung, Schwalbach/ Ts., S. 10-22. Siehe dazu auch: Zeuner, Christine (2018): Politische Bildung in unsicheren Zeiten, in: Grotlüschen, Anke & Schmidt-Lauff, Sabine & Schreiber-Barsch, Silke & Zeuner, Christine (Hrsg.): Das Politische in der Erwachsenenbildung, Frankfurt a.M., S. 94-99. [↩]
33 Hufer, Klaus-Peter (2022): Politische Bildung in der Erwachsenenbildung, in: Sander, Wolfgang & Pohl, Kerstin (Hrsg.): Handbuch politische Bildung, Frankfurt a.M., S. 168-175. Siehe auch: Mecheril, Paul & Streicher, Noelia (2016): Politische Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft, in: Hufer, Klaus-Peter & Lange, Dirk (Hrsg.): Handbuch politische Erwachsenenbildung, Schwalbach/Ts., S. 163-172. [↩]
34 Golly, Nadine (2015): Diversity: Konzept. Programmatik. Praxis, Zeitschrift der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, 1, S. 4-8. Siehe dazu auch: Achour, Sabine (2022): Gesellschaftliche Diversität: Herausforderungen und Ansätze, in: Sander, Wolfgang & Pohl, Kerstin (Hrsg.): Handbuch politische Bildung, Frankfurt a.M., S. 365-373. [↩]
35 Meints-Stender, Waltraud & Lange, Dirk (2016): Das Politische in der politischen Bildung, in: Hufer, Klaus-Peter & Lange, Dirk (Hrsg.): Handbuch politische Erwachsenenbildung, Schwalbach/ Ts., S.43-51. [↩]
36 Mecheril, Paul & Streicher, Noelia (2016): Politische Erwachsenenbildung in der Migrationsgesellschaft, in: Hufer, Klaus-Peter & Lange, Dirk (Hrsg.): Handbuch politische Erwachsenenbildung, Schwalbach/Ts., S. 163-172. [↩]
37Negt, Oskar (2016): Versuch einer Ortsbestimmung der politischen Bildung, in: Hufer, Klaus-Peter & Lange, Dirk (Hrsg.): Handbuch politische Erwachsenenbildung, Schwalbach/ Ts., S. 10-22. [↩]