Grundbegriffe
der Politischen Bildung

Othering

Der Begriff „Othering“ kommt vom englischen Wort „other“, was ins Deutsche übersetzt „anders“ heißt. Othering bedeutet eine Person oder Personengruppe zu „andern“, also zum Anderen und Fremden machen. Es ist ein Prozess, in dem die „Anderen“ als abweichend und nicht zugehörig konstruiert und von einer vermeintlichen „Wir“-Gruppe als Norm unterschieden und abgegrenzt werden. Othering fußt auf hierarchischem und stereotypem Denken und festigt so die bestehenden Herrschaftsverhältnisse.

Wer kann von Othering betroffen sein? Der Literaturtheoretiker Edward W. Said erklärt Othering im Rahmen postkolonialer Theorien in seinem Werk Orientalismus (1978). Nach ihm werden die westlichen Länder zur Norm gemacht und alle anderen Länder stereotyp als „Orient“ imaginiert, der als rückständig, exotisch und unzivilisiert dargestellt wird. Othering betrifft jedoch nicht nur Menschen aus dem (vermeintlichen) Orient. Othering kann alle Menschen betreffen, die innerhalb einer Gesellschaft oder globalen Strukturen über weniger Macht verfügen. Der Bildungswissenschaftler Paul Mecheril untersuchte in einer Arbeit zur Migrationspädagogik, dass im Bildungsbereich in Deutschland ständig ausgehend eines homogenen Nationsbegriffes zwischen Menschen mit und ohne sogenannten „Migrationshintergrund“ unterschieden wird. Hierbei werden Menschen mit Migrationsgeschichte bestimmte negative, von der Norm abweichende Eigenschaften zugeschrieben, die folglich problematisiert werden. Positive Eigenschaften dieser Menschen werden dabei ausgeblendet (vgl. 2015:29-34). Ähnliches beschreibt die Psychologin Marina Chernivsky (BFSFJ/DemokratieLeben 2020) über das Andersmachen von Juden und Jüdinnen: „Othering im Kontext von Antisemitismus beginnt mit der Differenz bzw. Differenzmachung zwischen ‚uns‘ und ‚ihnen‘, zwischen Juden und nicht-Juden, zwischen jüdischen deutschen und nicht-jüdischen deutschen. Es beginnt mit der Annahme der nicht-Zugehörigkeit. Es beginnt mit der Verortung von Jüdinnen und Juden im Ausland (…).“

Außerdem erleben Personen oder Gruppen Ausgrenzungserfahrungen durch Otheringprozesse, die aufgrund ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, Klassenzugehörigkeit, Gender, Herkunft, Nationalität, Lebensstils, einer Behinderung oder anderen Differenzkategorien als „Andere“ kategorisiert werden.

Wie kann gegen Othering in der politischen Bildung vorgegangen werden? Es muss eine Reflexion persönlich und im Team erfolgen, ob und wo in der Praxis zwischen „Wir“ und den „Anderen“, in „Norm“ und „Fremd“ unterschieden, ob meist über und nicht mit einer Gruppe gesprochen wird. Um Otheringprozesse zu erkennen und aufzudecken, müssen wir unsere Denkmuster und die ausschließenden Strukturen z.B. im Schulbetrieb oder in der Jugendarbeit stetig hinterfragen, um eine diskriminierungskritische Haltung zu entwickeln, um sich mit Betroffene zu solidarisieren und sie zu unterstützen. Als privilegierte Person kann der Powersharingansatz helfen gemeinsam gegen Ausgrenzungen zu handeln. So kann es hilfreich sein, wenn von Othering betroffene Personen einen eigenen Raum zur Verfügung haben, in dem sie ihre Erfahrungen austauschen und in einem geschützten Rahmen eigene Strategien und Formate entwickeln können, anstatt diese Gruppen aus einer dominanten Position heraus mit „Angeboten“ zu konfrontieren.

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Eileen König

Eileen König

Eileen König ist als Referent*in tätig bei der Amadeu Antonio Stiftung. Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet.

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Grundbegriffe der Politischen Bildung

Um Kontroversen, Positionen und Perspektiven in der Politischen Bildung einordnen zu können, braucht es Wissen um dahinterliegende Diskurse. Die Traditionslinien der Politischen Bildung schlagen sich dabei auch im Fachvokabular der Profession nieder. Die Begriffsprägungen zeigen somit Erkenntnisse, Konsense aber auch Konfliktlinien innerhalb des Fachdiskurses an. Der hierbei entstehende argumentative Dialog ringt dabei zugleich um Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam mit unseren Autor*innen aus der Politischen Bildung stellen wir an dieser Stelle Grundbegriffe der Politischen Bildung vor.

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