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Grundbegriffe
der Politischen Bildung
Kompetenzorientierung
Als die internationale Bildungsstudie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Jahr 2000 die „Kompetenzen“ von Schüler*innen prüfte, markierte dies einen Paradigmenwechsel, der mit Anforderungen des neuen Jahrhunderts begründet wurde. Gefordert waren „Fähigkeiten, mit neuen, heute noch unbekannten Problemen fertig zu werden Das sind vor allem ‚Dispositionen‘, ‚Bereitschaften‘, die auf die Komplexität dieser Problemlagen adäquat antworten können“ (Becker 2008: 247):
- „Kompetenzen sind komplex. Sie bezeichnen in der Regel ein Konglomerat aus Fertigkeiten (‚skills‘), Fähigkeiten, Wissen, Einstellungen und Dispositionen.
- Die Kompetenzentwicklung eines Menschen ist prinzipiell unabgeschlossen (Kompetenzen wachsen mit Erfahrungen, lebenslanges Lernen) und offen (Kompetenzen sind die Voraussetzung für innovative Lösungen; man weiß, wo man losgeht, aber nicht, wo man ankommt).
- Kompetenzen erweisen sich in der Anwendung, in der Wahrnehmung neuer Probleme und im Finden von Lösungen (Performanz).
- Kompetenzen bezeichnen Fähigkeiten zur Selbstorganisation“ (ebd. 247).
In zahlreichen Forschungsvorhaben wurden vor allem sogenannte Schlüsselkompetenzen ermittelt, so von der OECD 2003 im „Projekt Definition and Selection of Competencies (Definition und Auswahl von Kompetenzen, DeSeCo)“ (vgl. OECD.org 2003). 2005 wurde eine EU-Definition (vgl. Rat der Europäischen Union 2006) von acht Schlüsselkompetenzen vorgelegt, die „notwendig für den sozialen Zusammenhalt, die Beschäftigungsfähigkeit und die persönliche Entfaltung“ (Becker 2008: 247) sind, unter denen sich auch „Bürgerkompetenz“ befindet.
Für die Schuldidaktik, auch die schulische politische Bildung, wurden – in Abkehr von der bisherigen kanonischen Lernzielorientierung – zahlreiche politikdidaktische Kompetenzmodelle entwickelt. So formulierte 2004 die Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung (GPJE) ein Kompetenzmodell mit drei Kompetenzbereichen (politische Urteilsfähigkeit, politische Handlungsfähigkeit, methodische Fähigkeiten). Im selben Jahr definierte die Fachgruppe Sozialwissenschaften fünf Kompetenzdimensionen für die politische Bildung (Perspektivenübernahme/Rollenübernahme, Konfliktfähigkeit, sozialwissenschaftliches Analysieren, politische Urteilsfähigkeit, Partizipationsfähigkeit / Demokratische Handlungskompetenz). Die Politikdidaktiker*innen Detjen, Massing, Richter und Weißeno entwickelten 2012 ein Modell zur Politikkompetenz mit vier interdependenten Teilkompetenzen (Fachwissen, politische Urteilsfähigkeit, politische Handlungsfähigkeit, politische Einstellungen und Motivation).
Die Diskussion um Kompetenzen thematisierte auch deren „Messbarkeit“ und den Wechsel von einer Input- zu einer Output-Perspektive. Mit DeSeCo legte die OECD einen konzeptuellen Referenzrahmen für die Ausweitung von Kompetenzmessungen auf neue Bereiche, auch der nonformalen Bildung, vor und die Europäische Union mit dem „Europäischen Qualifikationsrahmen“ (EQF) einen Referenzrahmen für formal, nichtformal und informell erworbene Kompetenzen. „Nicht der Kanon oder der Besuch einer Institution bestimmt, ob jemand ‚gebildet‘ ist, also nicht das, was jemand (mal) gelernt hat, sondern das, was er/sie kann.“ (Becker 2008: 246 f.).
Für die außerschulische, non-formale politische (Erwachsenen-)Bildung wurden Mess- und Bewertungsparadigmen der Kompetenzorientierung kritisiert. Anlässlich ihrer Betrachtungen zur Einführung des Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) beschreiben Brokmeier und Ciupke eine markante Differenz zwischen den emanzipatorischen Zielen politischer Jugend- und Erwachsenenbildung und dem „Prinzip der Bewertung von Kompetenzen“: „Während eine berufliche Qualifikation den Zugang zum Erwerbsleben eröffnet, verhält es sich in der Politik und der diskutierenden Öffentlichkeit so, das jede/-r – unabhängig von Kompetenzen und Vorwissen – schon als mündige/-r Staatsbürger/-in und damit zur öffentlichen Teilhabe berechtigt vorausgesetzt ist. Auch in den Veranstaltungen der außerschulischen politischen Bildung sind Teilnehmende immer bereits als autonome Subjekte gedacht. Sie dürfen sich trotz unterschiedlicher Voraussetzungen, Kenntnisstände und Kompetenzniveaus äußern und beteiligen. Sie füllen nicht nur die Rolle der Lernenden aus, sondern sind auch zugleich Experten ihrer Lebenswelt, Anwälte ihrer Interessen, Konstrukteure einer künftigen Welt“ (Brokmeier/Ciupke 2010: 137).
Dem entgegnet Becker in ihrem Versuch, „den Kompetenzbegriff seiner einseitigen Ausdeutung zu entreißen und zu prüfen, was man mit ihm in der politischen Bildung meinen kann“ (Becker 2008: 245), dass ein gewichtiger Teil der wissenschaftlichen Debatte über den Kompetenzbegriff nicht auf Verfügbarkeit, ökonomische Verwertbarkeit und Verzweckung abhebt, sondern die Lernenden in den Mittelpunkt stellt. „Die Output-Perspektive favorisiert einen offenen Lernprozess und Teilnehmerorientierung. […] ‚Kompetenzen‘ erscheinen hier also als Hort von Eigensinn“ (ebd. 248). Schlüsselqualifikationen wurden auch im Hinblick auf „personale Kompetenz“ (vgl. Erpenbeck 2003) und „nachhaltige Entwicklung“ (vgl. de Haan/Harenberg für BLK 1999) definiert. Oskar Negt legte schließlich eine Definition „Gesellschaftlicher Kompetenzen“ (vgl. Negt 1990) vor – „Kategorien, die auch der politischen Bildung nicht fremd sind“ (Becker 2008: 250).
2014 hat der Bundesausschuss für Politische Bildung mit „Expertisen zur Kompetenzorientierung in der Politischen Bildung“ einen Überblick über die kontroversen Diskurse, unter anderem über die Bedeutung von Kompetenz und Kompetenzorientierung als zentrale Schlüsselbegriffe für die Profession der politischen Bildung, gegeben (vgl. Bundesausschuss für Politische Bildung/bap, 2014).
Weiterlesen
- Becker, Helle (2008): Appendizitis? Kompetenzbauchschmerzen der politischen Bildung. In: Praxis Politische Bildung, 12. Jg. 2008, H. 4, Berlin, S. 245-252
- Behrmann, Günter C. / Grammes, Tilman / Reinhardt, Sibylle (unter Mitarbeit von Hampe, Peter) (2004): Politik: Kerncurriculum Sozialwissenschaften in der gymnasialen Oberstufe. In: Tenorth, Heinz-Elmar (Hrsg.): Kerncurriculum Oberstufe II. Weinheim
- Brokmeier, Boris / Ciupke, Paul (2010): Außerschulische politische Bildung zwischen Deskriptoren und Niveaustufen. Zur aktuellen Debatte um den Deutschen Qualifikationsrahmen. In: Arbeitskreis deutscher Bildungsstätten e.V. (Hrsg.): Außerschulische Bildung 2-2010, S. 135-139 https://www.adb.de/download/publikationen/AB2010-2.pdf. (abgerufen am 29.03.2022)
- Bundesausschuss für Politische Bildung/bap (Hrsg.) (2014): Expertisen zur Kompetenzorientierung in der Politischen Bildung, Berlin. https://www.bap-politischebildung.de/wp-content/uploads/2014/03/bap-Material-12014_Kompetenzorientierung.pdf (abgerufen am 29.03.2022)
- Bund-Länder-Kommission (1999): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Gutachten zum Programm von Gerhard de Haan und Dorothee Harenberg, FU Berlin, Heft 72 der Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung, Bonn
- Detjen, Joachim / Massing, Peter / Richter, Dagmar / Weißeno, Georg (2012): Politikkompetenz – ein Modell. Wiesbaden
- Erpenbeck, John / Rosenstiel, Lutz von (Hrsg.) (2003): Handbuch Kompetenzmessung. Erkennen, verstehen und bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, pädagogischen und psychologischen Praxis, Stuttgart
- Europäische Union (2008): Europäischer Qualifikationsrahmen. https://europa.eu/europass/de/european-qualifications-framework-eqf (abgerufen am 29.03.2022)
- Gesellschaft für Politikdidaktik und politische Jugend- und Erwachsenenbildung, GPJE (Hrsg.) (2004): Anforderungen an Nationale Bildungsstandards für den Fachunterricht in der Politischen Bildung an Schulen. Ein Entwurf. Schwalbach/Ts. http://gpje.de/wp-content/uploads/2017/01/Bildungsstandards-1.pdf. (abgerufen am 29.03.2022)
- Negt, Oskar (1990): Überlegungen zur Kategorie „Zusammenhang“ als einer gesellschaftlichen Schlüsselqualifikation. In: Report. Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung. Alternative Schlüsselqualifikationen – Erwachsenenbildungsforschung in den neuen Bundesländern Heft 26/1990, S. 11-19
- OECD.org (2005): Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen. Zusammenfassung. https://www.oe cd.org/pisa/35693281.pdf (abgerufen am 29.03.2022)
- OECD.org (2003): Definition and Selection of Competencies (DeSeCo). https://www.oecd.org/education/skills-beyond-school/definitionandselectionofcompetenciesdeseco.htm (abgerufen am 29.03.2022)
- Rat der Europäischen Union (2006): Vorschlag für eine Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zu Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen Ausrichtung. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006H0962&from=EN (abgerufen am 29.03.2022)
- Schrader, Josef / Brandt, Peter (Hrsg.) (2020): Kompetenzorientierung in der Erwachsenen- und Weiterbildung. weiter bilden. DIE Zeitschrift für Erwachsenenbildung 2-2020. Bielefeld
- Vonken, Mathias (2007): Handlung und Kompetenz. Theoretische Perspektiven für die Erwachsenen und Berufspädagogik, Wiesbaden
Transfer für Bildung e.V.
Der Verein Transfer für Bildung e.V. setzt sich für die politische und kulturelle Bildung ein. Er fördert deren Beforschung, Beratung und Begleitung der Praxis und unterstützt den Dialog von Wissenschaft, Praxis und Politik in diesen Bereichen.
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Grundbegriffe der Politischen Bildung
Um Kontroversen, Positionen und Perspektiven in der Politischen Bildung einordnen zu können, braucht es Wissen um dahinterliegende Diskurse. Die Traditionslinien der Politischen Bildung schlagen sich dabei auch im Fachvokabular der Profession nieder. Die Begriffsprägungen zeigen somit Erkenntnisse, Konsense aber auch Konfliktlinien innerhalb des Fachdiskurses an. Der hierbei entstehende argumentative Dialog ringt dabei zugleich um Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam mit unseren Autor*innen aus der Politischen Bildung stellen wir an dieser Stelle Grundbegriffe der Politischen Bildung vor.