GESCHICHTE
DER POLITISCHEN BILDUNG

Ab 1945: Die (gescheiterte) Re-Educationpolitik der West-Alliierten

Nachdem das nationalsozialistische Deutschland besiegt war, wurden von Seiten der Alliierten Programme zur Re-education entwickelt. Die Absicht war, die Deutschen zu Demokrat*innen zu „erziehen“ bzw. sich selbst dazu zu erziehen. Am Ende gilt dieses ambitionierte Vorhaben als mehr oder weniger gescheitert.

Das Konzept

Wörtlich übersetzt meint dieser Begriff eine „Zurück-Erziehung“, womit impliziert wird, als hätte es in Deutschland eine politische Kultur gegeben, auf die man sich zurückbeziehen könnte. Zunächst aber wurde der Begriff „vor dem Krieg nur in der amerikanischen Psychologie, Sonderpädagogik und Psychiatrie verwendet und bezeichnete den Heilungsvorgang einer kranken Psyche“2. Dazu passte, dass „in der amerikanischen Diskussion […] von dem ‚mentally sick German people‚ gesprochen [wurde]“3. Es ging zwar auch um Psychologie, aber vor allem um Erziehung: die Deutschen sollten zu Demokrat*innen „erzogen“ werden.

"Wörtlich übersetzt meint dieser Begriff eine „Zurück-Erziehung“, womit impliziert wird, als hätte es in Deutschland eine politische Kultur gegeben, auf die man sich zurückbeziehen könnte."

Nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 und dem Ende des NS-Regimes berieten die USA, Großbritannien und die Sowjetunion vom 17. Juli bis zum 2. August im Schloss Cecilienhof in Potsdam, wie es im Nachkriegsdeutschland weitergehen sollte. Die Dreimächtekonferenz mit ihrem „Potsdamer Abkommen“ vom 2. August 1945 beschloss, „dem deutschen Volk die Möglichkeit [zu] geben, sich darauf vorzubereiten, sein Leben auf einer demokratischen und friedlichen Grundlage von neuem wiederaufzubauen.“ Es werden verschiedene „Grundsätze“ benannt, darunter dieser:

„Das Erziehungswesen in Deutschland muß so überwacht werden, daß die nazistischen und militaristischen Lehren völlig entfernt werden und eine erfolgreiche Entwicklung der demokratischen Ideen möglich gemacht wird.“4

Von 1945 bis 1949 übten die vier Siegermächte (Frankreich kam hinzu) die Besatzungsrechte durch den Alliierten Kontrollrat aus. Dieser erließ eine Reihe von Gesetzen und Direktiven. Die Vorstellungen von einer demokratischen Erziehung in Deutschland finden sich in der „Kontrollratsdirektive Nr. 54: Grundprinzipien für die Demokratisierung des Bildungswesens in Deutschland (1947)“ von 25. Juni 1947. Dort heißt es u.a.

„4. Alle Schulen für den Zeitraum der Pflichtschulzeit sollten ein zusammenhängendes Bildungssystem (comprehensive educational system) darstellen. Die Abschnitte der Elementarbildung und der weiterführenden Bildung sollten zwei aufeinanderfolgende Stufen der Unterweisung bilden, nicht zwei Wege oder Abschlüsse der Ausbildung [nebeneinander], die teilweise übereinstimmen.

5. Alle Schulen sollten Nachdruck legen auf die Erziehung zu staatsbürgerlicher Verantwortung und demokratischen Lebensstil (democratic way of life) vermittelst des Lehrplans, der Lehrbücher und Lehrmittel und der Organisation der Schule selbst.“ 5

Das dürfte eines der letzten gemeinsamen Dokumente der USA, Englands, Frankreichs und der Sowjetunion gewesen sein. Denn mit Beginn des Kalten Krieges und nachdem der sowjetische Vertreter am 20. März 1948 den Kontrolltrat verlassen hatte, stellte dieser seine Tätigkeit ein. In den vier Besatzungszonen wurde eine jeweils eigene Umerziehungspolitik verfolg. Die USA engagierte sich dabei „in besonderer Weise“.6 Am 13. Juni 1946 berief der US-amerikanische Präsident Truman die sogenannte Zook-Kommission ein. Ihren Namen bekam sie durch ihren Leiter George F. Zook und hatte den Auftrag, für die amerikanische Regierung Empfehlungen für die Re-education im deutschen Schulwesen zu erarbeiten. Nach „einer einmonatigen Reise zu den amerikanischen Erziehungskommissionen der drei großen Länder in der amerikanischen Besatzungszone“7 wurde von diesem „Professorenausschuß“ (ebd.) am12. Oktober 1946 sein Bericht, der „Zook-Report“, veröffentlicht.8 Die Empfehlungen waren „stark von John Deweys Pädagogik beeinflußt“, nämlich, „daß Demokratie nicht nur eine Regierungsform, sondern vor allem eine Lebensform sei“ 9. Dementsprechend sollte das Schulleben so aufgebaut werden, „daß es Erfahrung mit einer demokratischen Lebensgestaltung vermittelt“ 10. Ein weiterer wesentlicher Vorschlag war, dass die Schule in zwei aufeinanderfolgenden Abschnitten gegliedert werden sollte, in eine Elementarschule (Klassen 1 – 6) und eine höhere Schule (Klassen 7 – 12). Diese Vorstellungen sind in die bereist erwähnte Kontrollratsdirektive Nr. 54 eingegangen.
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Das Ergebnis

Die Weltlage veränderte sich in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre. Durch die Konfrontation mit der Sowjetunion hatte sich die Re-education-Politik „diesen veränderten Bedingungen zu unterwerfen.“ Es ging nun darum, „verstärkte Propaganda gegen den Osten zu betreiben“11 Unabhängig davon war der Widerstand der Deutschen gegen die Absichten der Re-education erheblich, z.B. bei der beabsichtigten Einführung einer Einheits- bzw. Gesamtschule Der bayerische Kultusminister Alois Hundhammer, Mitbegründer der  CSU, berief sich im Jahr 1947 in einer Stellungnahme an die Militärregierung auf das traditionelle mehrgliedrige Schulsystem:

„ Zwei Tatsachen dürfen […] in dem berechtigten Ringen um die soziale Gerechtigkeit der Schulverfassung nicht übersehen oder geleugnet werden: einmal die Tatsache, dass die Begabung für höhere Bildungsziele nun einmal nur einem zahlenmäßig begrenzten Personenkreis vorbehalten ist; und sodann die Tatsache, dass diese Begabungen sich zwar auf alle Stände und Klassen der Bevölkerung verteilen, nicht aber so, dass sie prozentual völlig gleichmäßig unter den einzelnen sozialen Schichten verteilt sind. Diese biologische Ungleichheit kann durch keine zivilisatorischen Maßnahmen beseitigt werden, auch nicht durch die Änderung unseres sogenannten zweispurigen Schulsystems zugunsten eines Einheitsschulsystems.12

Er hatte Erfolg: „letztendlich [setzte sich] die von den Deutschen mehrheitlich geforderte Restauration des Bildungssystems durch“13.

"Gemessen an den ehrgeizigen Zielen wird man kaum von einem Erfolg sprechen können. Allzu naiv wurde von der planmäßigen ´Umerziehbarkeit` der gesamten Bevölkerung ausgegangen ..."

Auch ansonsten schien sich der Zuspruch zu den US-amerikanischen Demokratieabsichten sehr in Grenzen zu halten. Alfred Andersch und Hans-Werner Richter, beide bedeutende Schriftsteller und Herausgeber der Zeitschrift „Der Ruf. Unabhängige Blätter der jungen Generation“, beschrieben die Stimmung: „Es heißt ‚reeducation‘. Kein schönes Wort. Jedenfalls nicht sehr viel schöner als das nationalsozialistische Wort von der ‚Umschulung‘. Hat man sich einmal wirklich vorgestellt, wen man umerziehen will? Können junge Menschen, die sechs Jahre lang fast ununterbrochen dem Tod gegenüberstanden, noch einmal zu Objekten eines Erziehungsprozesses gemacht werden?“14 „Einem Volk, dem man das Büßergewand übergeworfen hat, wird man schwerlich die Vorteile eines demokratischen Lebens demonstrieren können.“15 Das waren keine unbedeutenden Stimmen und „Der Ruf“ führte mit seiner Auflage von immerhin 120.000 Exemplaren alles andere als ein publizistisches Nischendasein. Das Re-education-Programm basierte letztendlich auf einem „Münchhausen-Trick“ gegenüber den Deutschen: „Durch ihre eigene Umerziehung sollten sie sich selbst am Schopfe aus dem Sumpf des Nationalsozialismus ziehen.“16. Unter dieser Voraussetzung musste es scheitern. Es kommen weitere Gründe hinzu: „Psychologische Barrieren gegenüber der Besatzungspolitik“, z.B. die „Vorstellung von kultureller Überlegenheit gegenüber den Besatzungsmächten“ und „Ablehnung von Schuldeingeständnissen“.17 Der Politikdidaktiker Wolfgang Sander zieht folgendes Resümee:

„Fragt man nach den Wirkungen dieser Re-education-Politik, so fällt die Bilanz zwiespältig aus. Gemessen an den ehrgeizigen Zielen wird man kaum von einem Erfolg sprechen können. Allzu naiv wurde von der planmäßigen ´Umerziehbarkeit` der gesamten Bevölkerung ausgegangen, allzu kurzschlüssig wurde der Nationalsozialismus in erster Linie als Erziehungsproblem definiert, allzu schnell wurden amerikanische Vorstellungen von Demokratie und demokratischer Erziehung auf die Situation im besetzten und zerstörten Nachkriegsdeutschland übertragen, allzu unklar waren die amerikanischen Vorstellungen im Detail.“ 18

Damit wird pointiert zum Ausdruck gebracht, warum die gute Absicht, die vom Nationalsozialismus geprägten Deutschen zu Demokratinnen und Demokraten umzuerziehen, scheitern musste.
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Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer

Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer ist Politik- und Bildungswissenschaftler, außerplanmäßiger Professor an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Er beschäftigt sich mit Geschichte, Theorie und Praxis der politischen Bildung sowie mit der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und -extremismus.

1, 6, 9 Kuhn, Hans-Werner Massing, Peter/Skuhr, Werner (Hrsg.): Politische Bildung in Deutschland. Entwicklung – Stand – Perspektiven, 2. Aufl., Opladen 1993 109 – 141. [↩] [↩] [↩]

2, 13, 17 Gagel, Walter: Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland 1945-1989, Opladen 1994. [↩] [↩] [↩]

3 Bungenstab, Karl-Ernst: Umerziehung zur Demokratie? Re-education-Politik im Bildungswesen der US-Zone 1945 – 1949, Düsseldorf 1970. [↩]

Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin [(„Potsdamer Abkommen“) vom 2. August 1945], in: http://www.documentarchiv.de/in/1945/potsdamer-abkommen.html (abgerufen am 07.10.2020) [↩]

5 Kontrollratsdirektive Nr. 54: Grundprinzipien für die Demokratisierung des Bildungswesens in Deutschland (1947), in: https://web.archive.org/web/20050531233617/http://www.uni-kassel.de/fb1/KVilmar/ss_2004/schulwesen/direktive54.pdf (abgerufen am 07.10.2020) [↩]

7 Lange Quassowski, Jutta: Neuordnung oder Restauration. Das Demokratiekonzept der amerikanischen Besatzungsmacht und die politische Sozialisation der Westdeutschen: Wirtschaftsordnung – Schulstruktur – Politische Bildung, Opladen 1979. [↩]

8, 10 Erziehung in Deutschland: Bericht und Vorschläge der Amerikanischen Erziehungskommission, München 1946. [↩] [↩]

11, 14, 15, 16 Borchers, Hans/Vowe, Klaus W.: Die zarte Pflanze Demokratie. Amerikanische Re-education in Deutschland im Spiegel ausgewählter politischer und literarischer Zeitschriften (1945 – 1949), Tübingen 1970. [↩] [↩] [↩] [↩]

12 Bundeszentrale für politische Bildung: Schulgeschichte in Deutschland: Von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart, Bonn 2017, in: https://www.bpb.de/gesellschaft/bildung/zukunft-bildung/229702/schulgeschichte-nach-1945 (abgerufen am 07.10.2020) [↩]

18 Sander, Wolfgang:  Politik in der Schule. Kleine Geschichte der politischen Bildung, Bonn 2003. [↩]

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