DIVERSITÄTSORIENTIERUNG

IN DER POLITISCHEN BILDUNG

Diskriminierungssensible Onlineangebote in der Politischen Bildung

Andrea-Vicky Amankwaa-Birago ist Expertin für Vielfalt, Rassismuskritik, Empowerment und Qualitätsmanagement. In unserer Fortbildungsreihe skizzierte sie Stellschrauben für gelungene, diskriminierungssensible Bildungsangebote in der „digitalen Welt“. im Anschluß stand sie uns Rede und Antwort im ausführlichen Interview. Hierbei betrachtet sie die aktuellen Veränderungsprozesse in der Politischen Bildung, fordert ein Wandel von integrativen zu inklusiven Arbeitsweisen und stellt digitale Tools zur (Selbst)Reflexion vor.

Wie ernsthaft ist die Veränderung?

Frage: Sie kommen aus dem Qualitätsmanagement und setzen Diskriminierungssensibilität als einen grundlegenden Teil von Qualitätsstandards im Bildungssektor voraus. Wie sehen Sie da den aktuellen Stand bei den verschiedenen Trägern der politischen Bildung – wird Diskriminierungssensibilität schon als Grundbestandteil von Qualitätsmanagement wahrgenommen?

→ Inhalt

Amankwaa-Birago: Ich habe den Eindruck, dass dem eher nicht so ist. Allerdings muss man sagen, dass die Entwicklungen der letzten Monate – der  Tod von George Floyd, die Ereignisse in Hanau und auch der Umgang mit geflüchteten Menschen –   so eine Art Wake-up-Call für einige Einrichtungen in Deutschland waren Die Frage dabei bleibt aber: Wie ernst meinen wir es mit dem Thema? Mit Blick auf die Schulen erinnere ich z.B. an die Geschehnisse in Berlin, in der nun schon der zweite Antidiskriminierungsbeauftragte für Schulen „geht“. Da geht es auch um Tokenism – also dass „Alibi-Migrant*in“ auf eine Position gesetzt werden, um vordergründig „das Problem in der Institution“ zu lösen. Dabei besteht m.E. im Hintergrund aber keine Bereitschaft, sich mit den strukturellen Schwierigkeiten innerhalb der Institiution wirklich auseinanderzusetzen. Wenn hier nach kurzer Zeit wieder jemand „geht“ – aus den gleichen Gründen wie seine Vorgängerin – dann ist das ein Zeichen dafür, dass hier  Qualitätssicherung in der Anti-Diskriminierungsarbeit weniger eine Rolle spielt.

"Alle dürfen an an einem Strang ziehen, nicht nur eine Person. Es geht nicht um ein individuelles Problem, sondern um ein Strukturelles.

Andrea-Vicky Amankwaa-Birago

Frage: Woran lesen Sie einen ernstgemeinten Ansatz ab? Welche Marker können Sie uns da an die Hand geben?

Amankwaa-Birago: Um beim Berliner Beispiel zu bleiben: Da hat man eine Person mit Expertise, zusätzlich mit Migrationshintergrund und platziert diese nun an eine entscheidende Position, um Veränderung zu bringen. Diese Person kämpft sich alleine ab – und dann irgendwann wird sie von der nächsten Person mit Migrationshintergrund oder Person of Color abgelöst. Das ist keine Seltenheit. Das ist zum Teil eine systemische Vorgehensweise, die in vielen politischen Organisationen mit allen Mitteln aufrecht erhalten bleibt. Dabei ändert sich nichts an den Strukturen. Diese Art des Tokenism wurde in der taz passend mit „Schon wieder weg“ überschrieben. An dem ganzen Fall lässt sich gut ablesen, inwiefern Organisationen tatsächlich bereit sind sich selbst zu reflektieren und die Fehlerkultur  zu hinterfragen – oder eben nicht. Dafür braucht man das Backing aus der Organisation – das ist somit der wichtigste Marker: Alle dürfen an an einem Strang ziehen, nicht nur eine Person.  Es geht nicht um ein individuelles Problem, sondern um ein Strukturelles. Die Sensibilisierung aller Mitarbeiter*innen zu den Strategien gegen Diskriminierung sollte vorhanden sein, damit ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess im Organisationssystem stattfindet.

Vom integrativen Blick Integration zur inklusiven Arbeit

Frage: Mit Blick auf die Strukturen –  Sie unterscheiden in ihrer Arbeit zwischen Integration und Inklusion. Wo sehen Sie da die Unterschiede?

Amankwaa-Birago: Bei der Integration ist es eher so, dass man eine spezifische Gruppe aufnimmt. Da denke ich z.B. an Veranstaltungen zum Thema der „Parallelgesellschaft“, also dem Thema, welches wir in den 1990er Jahren zu genüge durchgekaut haben. Dabei bleibt die Gruppe der „Migrant*innen“ innerhalb des Angebots immer noch als „die Anderen“ bestehen. Beim integrativen Blick herrscht somit eindeutige Definitionshoheit. Diese Veranstaltungen sind dabei davon geprägt, dass bestimmte Zielgruppen zwar eingeladen werden, diese danach aber auch wieder gehen. Der komplette Diskurs wird dabei von den Veranstaltenden vorgegeben. Inklusives arbeiten bedeutet für mich wiederum, dass Menschen gesehen werden, dabei differenziert wird und Individualität eine Rolle spielt. Sie bestimmen mit was in der Veranstaltung passieren soll. Das vermeidet das Denken in Gruppen und umgeht somit das traditionelle „Wir“ und „Die“. Was dann bleibt, ist ein Ich und Du. Auf den differenzierten Blick kommt es also an. Hierbei werden mehrere Stimmen gehört und mehrere Hände werden aktiv um eine Veranstaltung zu organisieren.

"Inklusives arbeiten bedeutet für mich, dass Menschen gesehen werden, dabei differenziert wird und Individualität eine Rolle spielt.

Andrea-Vicky Amankwaa-Birago

Frage: Bedeutet dies, dass für Sie die Frage nach genauer Zielgruppenansprache ein Element des integrativen Blicks ist und somit als überholt gilt?

Amankwaa-Birago: Nein. Ich plädiere lediglich dafür, uns vom Begriff der Integration zu lösen und wir uns genauer angucken müssen, was Inklusion für unsere Veranstaltungsformate eigentlich bedeutet. In den Onlineformaten haben wir eine  Chance neue Publika zu erschließen, die wir bei analogen Präsensveranstaltungen nicht erreichen. Es gibt große Unterschiede für den Erfolg von Veranstaltungsformaten, wenn der Blick plötzlich inklusiv statt integrativ ist.

Check-Listen und Personal

Frage: Um Bildungsangebote auch in der „digitalen Welt“ diskriminierungssensibel auszurichten, plädieren Sie für eine Check-Liste. Welche Faktoren sehen Sie dabei, vor allem aus didaktischer Sicht, als besonders dringlich an?

Amankwaa-Birago: Eigentlich ist dieses die gleiche Frage wie auch bei analogen Konzepten. Es gilt, Zielgruppen effektiv mitbestimmen zu lassen. Darf noch jemand anderes mitbestimmen als weiße, männliche Personen?

Frage: Ist das eine Personalfrage?

Amankwaa-Birago: Ich glaube schon. Denken Sie an pädagogische Hauptamtliche – diese Personen sitzen auf machtvollen Stellen, da sie mittelbar bestimmen, wer in ihre Veranstaltungen kommt. Diese müssen sich mit ihren „weißen Flecken“ beschäftigen – möchte ich alles alleine bestimmen oder frage ich doch in der Community nach lasse mit auf gemeinschaftliche Entscheidungsprozesse ein? Ich denke, der Ansatz des „Wir machen eine Veranstaltung…“ ist durchsetzt mit Macht. Um dieses aufzubrechen, muss z.B. mit Migrant*innenselbstorganisationen und Neuen Deutschen Organisationen gesprochen werden. Diese müssen dabei in diesen neuen Prozessen zu echten Stakeholdern gemacht werden.

Absprachen zum gemeinsamen Umgang miteinander

Frage: Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem sog. Code of Conduct als einem Schutzkonzept, welches Bildungsteams vor Veranstaltungen und Angeboten ausarbeiten sollten. Was meinen Sie damit?

Amankwaa-Birago: Dies ist eine Verabredung zwischen Veranstaltenden und Teilnehmenden, sodass sich bei der Veranstaltung alle sicher fühlen. Wir einigen uns z.B. auf gewaltfreie Sprache oder darauf, dass bei bestimmten Verhalten auch bestimmte Konsequenzen durchgegezogen werden. Gerade für den Onlineraum müssen wir noch mehr überlegen, wie wir das Thema angehen. Da denke ich auch an Datenschutz, der ja schon dem Namen nach ein Stück Schutz gewähren soll. Neben den Daten muss aber auch in der Vorbereitung das Verhalten reflektiert werden. Da ließe sich im Vorfeld z.B. nach den Bedürfnisse der Teilnehmenden fragen. Diese Vorarbeit führt damit in Richtung code of conduct.

Frage: An den Schutzanspekt anknüpfend: Das Konzept der Safe Spaces wird an vielen Stellen kontrovers diskutiert (z.B. in der Veröffentlichung Trigger Warnung in Herausgeberschaft von Eva Berendsen, Saba-Nur Cheema und Meron Mendel der Bildungsstätte Anne Frank). Worauf zielt das Konzept der sicheren Räume ab?

Amankwaa-Birago: Ich arbeite viel an rassismuskritischen Bildungsangeboten. Bei Veranstaltungen zu Rassismus soll die Reproduktion von Rassismus vermieden werden. Dabei funktioniert der safe space ein bißchen wie ein Filter. Den interessierten Teilnehmenden wird dabei zugesichert, dass Sie ohne erneute Schädigung teilnehmen können. Deutschland ist aus rassismuskritischer Sicht für Weiße ein safe space – umso wichtiger ist es darauf zu schauen, auch Minderheiten die Möglichkeit einzuräumen, unbeschadet teilnehmen zu können.

Dabei geht es selbstverständlich auch um Ermächtigung und Selbstbestimmung – sich also fit zu machen. Dabei geht es nicht, in Abgrenzung zu einer Selbsthilfegruppe, zu fühlen wie es uns geht, um dann wieder „in die Welt“ hinauszutreten. Denn neben der Selbstfürsorge geht es gerade um das Empowerment, sodass wir im Anschluss an mehrheitlich anders besetzten Diskursen teilnehmen können. Dazu gehört auch das Teilen von Strategien, um die geteilten Kämpfe zu kämpfen. Der safe space leistet genau dieses – die Unterstützung von hinten, um dann vorne zu stehen.

Frage: Für die Reflexion der weißen Mehrheitsgesellschaft hatten Sie auf den Virtual Privilege Walk hingewiesen, in dem gesellschaftliche Positionierungen sichtbar gemacht werden. Dieser wird vor allem in Präsenzveranstaltungen verwendet – funktioniert dies auch digital?

Amankwaa-Birago: Auf jedem Fall. Das Thema Schutz und safe space ist da eine gute Überleitung: Ich habe den Eindruck, das beim digitalen privilege walk  die Teilnehmenden geschützter sind. Es wird im digitalen Raum nicht sichtbar, wie man aussieht und auch der Name lässt sich einfach abändern. Jede Person erhält ein individuelles Ergebnis, welches andere nicht einsehen können. In Präsenz hingegen bekommt der gesamte Raum mit, wer vorne steht und wer ganz hinten abgehängt wurde. Dort findet somit genau die Reproduktion von Ausschluss statt, die wir vermeiden wollen. Im analogen privilege walk stehen Menschen also wieder hinten – genauso wie in der Alltagserfahrung. Im virtuellen privilege walk kann man damit anders umgehen, da man sich ganz anders vom Ergebnis abgrenzen kann. Daher empfinde ich digitale Angebote sehr bereichernd!

Vicky-Andrea Amankwaa-Birago

Vicky-Andrea Amankwaa-Birago

Andrea-Vicky Amankwaa-Birago ist Expertin für Vielfalt, Rassismuskritik, Empowerment und Qualitätsmanagement. In dieser Funktion leitet sie Workshops, Fortbildungen und Trainings in Deutschland und Ghana. Frau Amankwaa-Birago hat Angewandte Kulturwissenschaften an der Leuphania Universität Lüneburg studiert und arbeitet u.a. freiberuflich als Anti-Diskriminierungsberaterin in dem Antidiskriminierungs-Netzwerk ADN in der Hansestadt und Landkreis Lüneburg.

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