Grundbegriffe
der Politischen Bildung

Urteilsfähigkeit

In den 1960er-Jahren war ein Sozialkundebuch populär, das den Titel hatte „Sehen Beurteilen Handeln“ (Hilligen1960, mehrere weiter Auflagen). Der Dreiklang im Buchtitel kann als Indiz dafür gelten, wie sehr die Politikdidaktik der früheren Jahre den Vernunftprinzipien Immanuel Kants folgte. Auch seine Vorstellung, wie ein Mensch zu seiner Erkenntnis (und damit zu einem Urteil) kommt, folgt einem Dreischritt: „Alle unsere Erkenntnis hebt von den Sinnen an, geht von da zum Verstande und endigt bei der Vernunft, über welche nichts Höheres in uns angetroffen wird, den Stoff der Anschauung zu bearbeiten und unter die höchste Einheit des Denkens zu bringen. (Kant 1975, 139)

Dass alles andere als eine rationale Beurteilung von Politik nicht in Frage kommt, hat Max Weber apodiktisch klargestellt: „Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele.“ (Weber 1968, 168)

Ende der 1980er- und zu Beginn der 1990er-Jahre aber gab es in der politischen Bildung, dem damals gängigen Motto „das Private ist das Politische“ folgend, eine Hinwendung zu Erkundungen des Selbst und der Befindlichkeiten, einer „Expansion des Subjektiven“ (Gagel  1994, 289).

Gegenläufig dazu war der Tenor einer Beutelsbacher Tagungen mit dem Thema „Rationalität und politische Bildung, eine der zentralen Aussagen war, „Gefühle im Bereich der Politik bewußt zu machen, sie der Kontrolle des Verstandes bzw. der Vernunft zu unterstellen […]“ ( Schneider 1990, 22)

In jüngster Zeit gibt wiederum gibt es Zeichen für eine Hinwendung zu Emotionen, plädiert wird für eine „Politische Bildung mit Gefühl“ (Besand/Overwien/Zorn 2019), denn: „Immerhin gäbe es so ein Bewusstsein über verborgene Dimensionen des Lernprozesses und damit die Möglichkeit auf Bearbeitbarkeit.“ (ebd., 19)

Anders wären auch emotionalisierende Themen wie Biographien, Identitäten, Vorurteilsstrukturen u.v.a.. nicht zu bearbeiten. Es kommt aber darauf an, mit einer Kraft des überschreitenden Denkens“ (Negt 2010, 383) die Zusammenhänge herzustellen und zu begreifen. (ebd,, 30).

Weiterlesen:

  • Besand, Anja/Overwien, Bernd/Zorn /Peter Zorn (Hrsg.): Politische Bildung mit Gefühl, Bonn 2019
  • Gagel, Walter: Geschichte der politischen Bildung in der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1989, Opladen 1994
  • Hilligen, Wolfgang: „Sehen Beurteilen Handeln“ Arbeitsbuch zur Sozialkunde, Frankfurt am Main   1960 (mehrfach aufgelegt)
  • Kant, Immanuel Kant: Die drei Kritiken in ihrem Zusammenhang mit dem Gesamtwerk, Stuttgart 1975
  • Negt, Oskar: Der politische Mensch, Göttingen 2010
  • Schneider, Herbert: Rationalität und Emotionalität in der Demokratie, in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.): Rationalität und Emotionalität in der politischen Bildung,  Stuttgart 1991, S. 10 – 24
  • Weber, Max: Soziologie – Weltgeschichtliche Analysen – Politik, Stuttgart 1968
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Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer

Prof. Dr. Klaus-Peter Hufer ist Politik- und Bildungswissenschaftler und außerplanmäßiger Professor an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen. Er beschäftigt sich mit Geschichte, Theorie und Praxis der politischen Bildung sowie mit der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und -extremismus.

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Grundbegriffe der Politischen Bildung

Um Kontroversen, Positionen und Perspektiven in der Politischen Bildung einordnen zu können, braucht es Wissen um dahinterliegende Diskurse. Die Traditionslinien der Politischen Bildung schlagen sich dabei auch im Fachvokabular der Profession nieder. Die Begriffsprägungen zeigen somit Erkenntnisse, Konsense aber auch Konfliktlinien innerhalb des Fachdiskurses an. Der hierbei entstehende argumentative Dialog ringt dabei zugleich um Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam mit unseren Autor*innen aus der Politischen Bildung stellen wir an dieser Stelle Grundbegriffe der Politischen Bildung vor.

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