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GESCHICHTE
DER POLITISCHEN BILDUNG
Die Neue Frauenbewegung der 1960er und 70er Jahre im Verhältnis zur politischen (Frauen*-) Bildung: Zwischen Selbsterfahrung, Politisierung und Emanzipation
Die Sozialen Bewegungen der 1968er Jahre im noch relativ jungen bundesrepublikanischen Deutschland übten einen großen Einfluss auf Richtung und Wirken politischer Bildung aus. Hatte die außerparlamentarische Opposition in Form der Studentenbewegung1 eine Demokratisierung der Gesellschaft im Blick, eröffnete die zweite Welle der Frauenbewegung (auch Neue Frauenbewegung genannt) eine emanzipatorische Perspektive auf die Teilhabe von Frauen* und setzte Impulse, die bis heute wirken.
„Das Private ist politisch“: Die Entstehung der Neuen Frauenbewegung
→ Inhalt
Es handelte sich eher um Frauenbewegungen, die sich aus unzähligen kleineren Aktionsbündnissen, einzelnen Protagonistinnen, Ortsgruppen und Zusammenschlüssen von Akteur*innen zusammensetzten. Vereint wurden sie durch ähnliche Interessenslagen wie der Fokussierung auf das Geschlechterverhältnis, genauer das Zusammenleben der Geschlechter, so verfolgte diese recht heterogene soziale Bewegung dennoch auch unterschiedliche Ziele: War für das Frankfurter Frauenbündnis der Kampf gegen den Paragraphen 218 (das Recht auf Schwangerschaftsabbruch und Mein Körper gehört mir) und damit das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper von zentraler Bedeutung, waren die Berliner Akteur*innen vom Aktionsrat zur Befreiung der Frau mit der Bearbeitung der Frauen- und damit der Kinderfrage beschäftigt und entwickelten als eine Lösungsstrategie die Kinderläden als außerinstitutionelle Erziehungsarrangements.
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Kritik an den bestehenden Verhältnissen und am Zusammenleben der Geschlechter
"Der Feminismus zielte nicht wie die anderen aufkommenden sozialen Bewegungen nur auf die Gleichberechtigung und Partizipation im bestehenden System ab, sondern auch auf die Veränderung der bestehenden gesellschaftlichen und herrschaftlichen Verhältnisse."
Dr.*in Miriam Mauritz
„die nicht nur einzelne Anliegen verfolgt, sondern die Gesamtheit gesellschaftlicher Verhältnisse im Blick hat, also einen grundlegenden Wandel der sozialen und symbolischen Ordnung – auch in den intimsten und vertrautesten Verhältnissen der Geschlechter – anstrebt und gleichzeitig Deutungen und Argumente zu ihrer Kritik anbietet.“9
„eine neue Lebensform, die wir uns Schritt für Schritt erkämpfen müssen. Deshalb haben wir auch nichts Fertiges zu bieten. Den Frauen soll nichts von außen aufgesetzt werden, weder politisches Wissen noch Engagement für andere. Sie sollten vielmehr sich selbst in den Mittelpunkt stellen, ihre eigene Unzufriedenheit benennen und mit anderen betroffenen Frauen zusammenarbeiten.“ 10
"Als die ersten Frauen* aufbegehrten, waren ihnen die unterdrückenden gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst und diese galt es nicht nur offenzulegen und zu kritisieren, sondern vor allem zu verändern, um dadurch zur Frauenbefreiung beizutragen."
Dr.*in Miriam Mauritz
In diesen Einsichten zeigt sich die Prozesshaftigkeit der Erarbeitung eines neuen Selbstverständnisses der Akteur*innen in der Neuen Frauenbewegung. Als die ersten Frauen* aufbegehrten, waren ihnen die unterdrückenden gesellschaftlichen Verhältnisse bewusst und diese galt es nicht nur offenzulegen und zu kritisieren, sondern vor allem zu verändern, um dadurch zur Frauenbefreiung beizutragen. Ausgearbeitete Programme und Strategien gab es noch nicht, lediglich erste Ideen und Versuche, die bestehenden Verhältnisse zu ändern.
Orte erster politischer (Frauen-)Bildung
Aus der Neuen Frauenbewegung konstituierten sich neben politischen Gruppierungen Lesekreise, Frauenarchive, Frauenuniversitäten und Selbsterfahrungsgruppen, die als Orte an denen erstmalig politische Frauenbildung stattfand gelesen werden können.
Literatur als feministischer Anknüpfungspunkt
Die Rezeption und Produktion feministischer Texte nahm einen wichtigen Stellenwert innerhalb der Bewegung ein. In Lesekreisen fand beispielsweise das Standardwerk „Das andere Geschlecht“ von Simone DeBeauvoir großen Anklang und wurde gemeinsam diskutiert. Häufig entstanden aus den Lesekreisen heraus auch die ersten Frauenbuchläden oder es wurden Frauenarchive mit feministischer Literatur eingerichtet. Zeitschriften wie Courage, Emma und Beiträge zur feministischen Theorie wurden erstmalig herausgebracht und erste eigene Frauenbuchverlage gegründet.
Frauenuniversitäten
Feministische Strömungen reichten auch bis in das Hochschulwesen und führten zu einer Hinterfragung der herkömmlichen Wissenschaften, da diese bei der Analyse der Geschlechterverhältnisse kaum hilfreich waren. Als Antwort entwickelte sich eine frauenspezifische Wissenskultur, die im Rahmen der Frauenuniversität zum Thema „Frauen und Wissenschaft“ erstmalig 1976 einen Ort erhielt. Hier wurden Ringvorlesungen zur Frauenforschung, Frauentagungen und Frauenseminare veranstaltet, für Notz gelten die bis in die 1980er Jahre hinein veranstalteten Frauenuniversitäten als zentrales Projekt der Frauenbewegung der 1970er Jahre. Bereits damals wurden Themen, die heute wieder an Aktualität gewonnen haben in den Mittelpunkt gestellt. So fand 1977 eine Sommeruniversität mit dem Thema „Frauen – bezahlte und unbezahlte Arbeitskräfte“ statt in dem sich auch die Forderung der Frauenbewegung nach „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wiederspiegelt, die bis heute leider nicht eingelöst werden konnte wie am aktuellen Gender Pay Gap erkennbar ist.
Selbsterfahrungsgruppen
Was danach geschah…
Dr.*in Miriam Mauritz
Erziehungswissenschaftlerin und Projektkoordinatorin bei #BIT* | Basics Inter* und Trans* der FUMA Fachstelle Gender & Diversität NRW. Geboren im Jahr 1984.
1 Da es sich bei der Studentenbewegung um einen feststehenden Begriff handelt und ihr Ziel und ihre Praxis eher männlich ausgerichtet waren, kann keine geschlechtergerechte Schreibweise verwendet werden. []
2, 8, 9 Gerhard, U. (2009): Frauenbewegung und Feminismus. Eine Geschichte seit 1789. München: Verlag C. H. Beck. [] [] []
3 Bendkowski, H. (1999): Einleitung. Wie weit flog die Tomate? 1968-1998 – auf den Spuren der 68erinnen. In: Heinrich-Böll-Stiftung und Feministisches Institut [Hrsg.]: Wie weit flog die Tomate? Eine 68erinnen-Gala der Reflexion. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung, S.11-22. []
4 Sander, H. (2004): Rede des „Aktionsrates zur Befreiung der Frau“ bei der 23. Delegiertenkonferenz des „Sozialistischen Deutschen Studentenbundes“ (SDS) im September 1968 in Frankfurt. In: Sievers, R. [Hrsg.]: 1968 – Eine Enzyklopädie. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S.372-378. []
5, 7 Baader, M. S. (2008): Das Private ist politisch. Der Alltag der Geschlechter, die Lebensformen und die Kinderfrage. In: Baader, M. S. [Hrsg.]. Seid realistisch, verlangt das Unmögliche!. Wie 1968 die Pädagogik bewegte. Weinheim und Basel: Beltz, S.153-172. [] []
6 Bott, G. [Hrsg.] (1970). Erziehung zum Ungehorsam. Kinderläden berichten aus der Praxis der antiautoritären Erziehung. Filmmanuskript. Frankfurt am Main: März Verlag. []
10 Schmidt-Harzbach, I. (1978): „Tradition und Weiterentwicklung der Frauenkämpfe des 19. Jahrhunderts durch die autonomen Frauengruppen“. In: Vorbereitungskommitee Berlin (Hg.): 1. Berliner Frauenkonferenz der traditionellen Frauenverbände und der autonomen Frauengruppen vom 16. bis 18. September 1977. Dokumentation. Berlin. []
11 Krechel, U. (1977): Selbsterfahrung. In: Menschik, J. [Hrsg.]: Grundlagentexte zur Emanzipation der Frau. 2. verbesserte und erweiterte Auflage, Köln: Pahl-Rugenstein, S.340-347. []
12 Wagner, A. C. (1977): Frauengesprächsgruppen. Beschreibung, Regeln und Themen. In: Menschik, J. [Hrsg.]: Grundlagentexte zur Emanzipation der Frau. 2. verbesserte und erweiterte Auflage. Köln: Pahl-Rugenstein, S.348- 357. []
13 Nave-Herz, R. (1982): Die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland. In: Schriftenreihe der Niedersächsischen Landeszentrale für Politische Bildung [Hrsg.]: Die Rolle der Frau in einer gewandelten Welt. Folge 7. Hannover: Buchdruckwerkstätten GmbH. []
14 Herfel, C. / Saupe C. /Kirschenlohr, D. (1996): Unsere Stadt braucht Frauen -Unser Kreis braucht Frauen. Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg [Hrsg.]. Stuttgart https://www.lpb-bw.de/publikationen/stadtfra/frauen6.htm (abgerufen am 30.10.22) []