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Digitale Praxis
Gute Online-Didaktik unter unsicheren Bedingungen
Dieser Beitrag thematisiert zeitgemäße Bildungsformate und die Elemente einer guten Online- Didaktik nach den Erfahrungen des Corona-Maßnahmen im Frühling 2020. Er geht auf den Leitmedienwandel ein und zeigt, wie eine resiliente Planung künftiger Bildungsangebote in der Erwachsenenbildung unter unsicheren Bedingungen aussehen kann.
Die Einflüsse der digitalen Transformation auf unser Leben und Lernen sind tiefgreifend. Der Begriff des Leitmedienwechsels scheint gut geeignet, um diese tiefgreifenden Änderungen zu skizzieren.
Die Menschheitsgeschichte lässt sich als Entwicklung von oralen Kulturen über schriftbasierte Kulturen bis hin zur industrialisierten Kultur mit dem gedruckten Buch als Leitmedium verstehen. Nun löst der digitale Wandel mit neuen Kommunikationstechnologien und dem Internet als neues Leitmedium das Buch ab.
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"Erwachsenenbildner*innen haben neue Aufgabenschwerpunkte, nämlich die Vorbereitung von Lernumgebungen und die Moderation und Begleitung von Lernprozessen – in digitalen Räumen ebenso wie in physischen Begegnungen."
Dr.in Birgit Aschemann
Erwachsenenbildung als Moderation und Begleitung
Insbesondere für die politische Bildung ist das gemeinsame Reflektieren und Hinterfragen und auch das gemeinsame Generieren von Wissensbeständen zentral. In diesem Zusammenhang ist die reine Instruktion veraltet oder wird Videos übertragen. Wissen wird nicht mehr hoheitlich vermittelt, sondern gemeinsam generiert oder im Vorfeld ausgewählt und zur Diskussion gestellt. Teilnehmende bzw. Lernende wählen zunehmend selbstbestimmt aus, wo, was und wie sie lernen. Zugleich ist die überbordende Fülle von Online-Informationen auch mit viel Unsicherheiten verbunden. Erwachsenenbildner*innen haben unter diesen Umständen neue Aufgabenschwerpunkte, nämlich die Vorbereitung von Lernumgebungen und die Moderation und Begleitung von Lernprozessen – in digitalen Räumen ebenso wie in physischen Begegnungen.
Die Charakteristika der „VUCA-Welt“
Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit sind Charakteristika, die auch unserer gesamtgesellschaftlichen Situation zugeschrieben werden. Der Begriff „VUCA“ stammt ursprünglich aus den USA der 1990er Jahre; er dient in unserem Jahrhundert im Kontext von Management und Organisationsentwicklung zur Beschreibung der modernen Welt. VUCA ist ein Akronym und setzt sich zusammen aus vier Substantiven:
- Volatilität
- Unsicherheit
- Komplexität (englisch complexity)
- Ambiguität3
Situationen sind volatil, da sie sich schnell verändern und unvorhersagbar sind. Unsicherheit entsteht, weil relevante Einflussfaktoren und ihr Zusammenspiel oft unbekannt sind. Die Vernetztheit vieler Elemente und Systeme auf mehreren Ebenen wird mit dem Begriff der Komplexität gefasst. Gleichzeitig sind Situationen häufig mehrdeutig und lassen viel Interpretationsspielräume zu, es ist also Ambiguität gegeben. Das Konzept beschreibt für viele Organisationen die zunehmend gewohnten Umgebungsbedingungen, aber erst die Covid-19-Krise im Frühling 2020 hat weltweit und großflächig die Unvorhersagbarkeit, Komplexität und auch Verletzlichkeit unserer gewohnten Strukturen spürbar werden lassen. Das gilt für das Alltagsleben ebenso wie für die Bildung.
Konsequenzen der Corona-Maßnahmen für die Erwachsenenbildung
Ausgangsbeschränkungen und andere Maßnahmen zur räumlichen Distanzierung hatten zweifellos etwas Schockierendes für große Teile der Bevölkerung (die Verwendung von Begriffen wie „Lockdown“ und „Shutdown“ kann als Indiz dafür verstanden werden). Gleichzeitig fand während dieser Maßnahmen eine Art Machbarkeitstest für digitales Arbeiten statt. Für einige Wochen bzw. Monate war das digitale Leitmedium unhinterfragt und keine Frage von Vorlieben. Ulrich Schmid, Geschäftsführer des mmb-Instituts, sprach von einem Anstieg von 3% auf 100% Online-Bildung innerhalb von 6 Wochen4.
Die Covid-19-Krise im Frühling 2020 bewirkte Lernsprünge, vor allem im Umgang mit Videokonferenzsystemen und Lernplattformen. Eine wesentliche Erfahrung haben viele Menschen in dieser Zeit geteilt: dass nämlich digitale Technologien Kontakt und Verbindung ermöglichen, wenn diese Verbindung sonst nur schwer lebbar ist. Diese Erfahrung hat eine deutlich größere Offenheit und Akzeptanz gegen über digitalen Kommunikationstechnologien bewirkt – auch im Kontext des Lehrens und Lernens.
Unter Erwachsenenbildungsanbietern selbst gab es zumindest drei Typen von Reaktionen, nämlich 1) die radikale Absage aller Bildungsangebote (wenn beispielsweise Bildungshäuser ihren Beherbergungsbetrieb schließen mussten), 2) die Variante alles schnell online zu bringen, wobei häufig auch neue Zielgruppen (und neue Qualitätsfragen) entdeckt wurden, und 3) die Variante, Onlinelehre als passagere Notlösung zu betrachten und die rasche Rückkehr zur Präsenz anzustreben. Im Sommer 2020 bereiten sich zahlreiche Anbieter in einer flexiblen Form auf den Herbst und Winter 2020/21 vor (der sich als „VUCA“ präsentiert). Andere setzen weiterhin völlig auf Präsenz. Die aktuellen Praxisfragen der Erwachsenenbildungsanbieter haben sich jedenfalls radikal verändert
Neue Fragen für die Erwachsenenbildungspraxis
Während sich 2019 noch sehr grundsätzliche Fragen zur Digitalisierung stellten, zeigen sich die vorgebrachten Fragestellungen nun pragmatischer, gezielter und deutlich umsetzungsorientierter5. Vor der Covid19-Krise lauteten die gängigen Fragen: Womit sollen wir anfangen, welches Knowhow brauchen wir wirklich? Wie weit soll unsere Einrichtung den „Trend“ der Digitalisierung mitmachen und welche Chancen bestehen wirklich? Können wir uns „eLearning leisten“? Bis hin zu: Geht die Digitalisierung wieder vorbei? Nach den Erfahrungen der Covid19-Krise lauten die akuten Fragen: Wie können wir am besten für den Fall einer nächsten Welle planen? Wie können wir schnell auf ein digitales Format umstellen, wenn es nötig ist? Woher kommt qualifiziertes Personal und wer bezahlt einen eventuellen Mehraufwand? Wie wird Onlinelernen generell bezahlbar und verrechenbar? Weitere Fragen klingen weniger dringend, sind aber ebenso wichtig: Welche digitalen Lernerträge aus der Phase der Ausgangsbeschränkungen können wir nützen und weiterführen? Was sollen wir tun, um die Qualität unserer Online-Angebote weiter auszubauen? Und last but not least: wie erwacht der Onlineraum zum Leben – „Lagerfeuer- Feeling“ inklusive?
"Resiliente Angebotsplanung würde beispielsweise bedeuten, von vornherein Blended Learning-Angebote zu planen."
Dr.in Birgit Aschemann
Resilienz und die Planung von Bildungsangeboten
Die Frage nach einer resilienten Angebotsplanung ist sehr aktuell. Der Begriff der Resilienz stammt ursprünglich aus der Materialwirtschaft und wurde durch seine Bedeutung in der Psychologie populär. Dort meint er die psychische Widerstandsfähigkeit und Gesundheit von Individuen im Fall von Krisen oder langfristigen widrigen Umständen. Im weiteren Sinn bezeichnet Resilienz die Widerstandsfähigkeit von Gruppen und Systemen gegenüber Störungen oder plötzlichen Veränderungen.
Für eine hohe Resilienz von Systemen sind nach Wieland & Wallenburg6 die beiden Komponenten Robustheit und Agilität von Bedeutung. Dabei meint Robustheit den reaktiven Aspekt der Stabilität (z.B. durch Rückgriff auf vorhandene Kernprozesse), und Agilität meint den proaktiven Aspekt der Flexibilität (z.B. durch hohe Innovationskraft). Was das für die Planung eines Online-Angebot bedeuten könnte, erschließt sich anhand von Beispielen.
Beispiele für resiliente Formate
Resiliente Angebotsplanung würde beispielsweise bedeuten, von vornherein Blended Learning-Angebote zu planen, und zwar so, dass die geplanten Präsenztage auch als Online- Veranstaltungen stattfinden könnten. Man plant also ein Blended Learning-Angebot mit einem Wechsel von synchronen Präsenztagen und längeren asynchronen Online-Phasen und stellt für die asynchronen Online-Phasen eine Lernumgebung mit Materialien und Aufgaben bereit. Die Präsenz-Phasen stehen mit diesen Online-Lernphasen in einer engen Verbindung. Sie beinhalten einen Wechsel der Sozialformen und legen dabei viel Gewicht auf Zusammenarbeit. Im Idealfall plant man sie von vornherein so, dass sie leicht in den Online-Raum übertragen werden können (falls nötig).
Das ist nicht schwierig, denn für jede der üblichen Sozialformen (wie etwa Gruppenarbeiten, Paargespräche, Einzelarbeiten und Plenumsdiskussionen) gibt es ein einfaches Pendant im Online-Raum. Die gängigen Videokonferenz-Technologien ermöglichen einen Wechsel dieser Sozialformen und zahlreiche Kommunikationsformen mit Sichtkontakt, mit internen Tools (wie Whiteboard, Chat, Status-Icons und Umfragen), und mit externen Tools, die man per Link einbindet.
Eine andere Variante der resilienten Planung ist die hybride Veranstaltung, bei der ein Teil einer Gruppe an einem Ort versammelt ist und andere Teilnehmende von anderen Orten per Videokonferenz zugeschaltet sind. Im Notfall kann man auch hier zur reinen Onlineveranstaltung wechseln. Ein echtes hybrides Meeting erfordert jedoch etwas mehr an Technikausstattung und Moderations-Knowhow (und mehr Disziplin von den präsenten Personen).
Beide genannten Varianten stützen sich einerseits auf das Bewährte, Bekannte (und sind insofern robust), erhöhen aber andererseits die Flexibilität für den Fall der veränderten Umstände. Teilnehmende tolerieren erfahrungsgemäß leichter den Ersatz eines solchen semi-digitalen Angebots durch ein reines Online-Angebot als den Ersatz eines Präsenzangebots durch reines Online-Lernen.
Resilient wäre es auch, vorerst online weiterzuarbeiten und den Onlineraum immer geübter und natürlicher zu nutzen.
Online-Räume sind auch Lebensräume
Wer auf die eine oder andere Art mit Live-Online-Meetings weiterarbeitet, braucht dafür didaktisches Grundwissen und Bedienungs-Knowhow für die jeweilige Software, aber auch ein Bewusstsein dafür, wie man den Onlineraum bewohnen und beleben kann. Online-Angebote sollen nicht nur Informationen und das gemeinsame Kommunizieren und Reflektieren ermöglichen, sondern auch eine gute Atmosphäre unterstützen und befördern – vor allem in sozialer Hinsicht, aber auch unter ästhetischen Gesichtspunkten.
Dabei hilft es, online nicht nur die (Bildungs-)Arbeit, sondern auch ein Stück Leben zu teilen. Es gibt eigene Tools, um Verbundenheit sichtbar zu machen (wie z.B. interaktive Landkarten). Vor allem stehen aber alle Möglichkeiten der Webcam zur Verfügung, angefangen vom Herzeigen persönlicher Gegenstände bis hin zum gemeinsames Essen und Trinken in den Pausen oder dem gemeinsamen Ausführen von Bewegungsübungen etc.. Den Eindruck des persönlichen Zusammensitzens kann man auch durch einen symbolischen Sesselkreis mit den Namen der Anwesenden unterstützen. Und besonders bei digital eher ungeübten Zielgruppen bewähren sich Handzeichen oder Moderationskärtchen in der Kommunikation (siehe „Weiterführendes“).
Wohltuende Bilder von angenehmen Umgebungen oder auch unterschiedlichen regionalen Bezugsräumen können die Zusammenarbeit unterstützen. Webinare müssen auch nicht notwendigerweise vorm PC und an einem fixen Ort abgehalten werden. Die Durchführung mit dem Smartphone ermöglicht es, durch die Landschaft, durch ein Museum oder durch eine Stadt zu spazieren und dabei das eigene Kamerabild allen Teilnehmenden im Webinar zu zeigen.
Zusammenfassung: gute Didaktik im digitalen Raum
Eine zeitgemäße und weitgehend hierarchiefreie Didaktik lässt sich durch folgende Tätigkeiten seitens der Seminarleitung charakterisieren:
- Sie unterstützt die Eigenständigkeit und das selbstgesteuerte Lernen der Teilnehmenden
- Sie organisiert, unterstützt und begleitet die Lernprozesse der Teilnehmenden
- Sie reduziert Instruktion auf Impulsreferate, Videos, oder Reflexionstexten
- Sie maximiert die Beteiligung und nützt synchrone Treffen für einen lebendigen Austausch
- Sie fördert und unterstützt das soziale Leben in digitalen Räumen
- Sie ermöglicht größtmögliche Flexibilität bzgl. Zeit und Ort der Teilnahme (und leistet damit einen Beitrag zur Reichweite bzw. Inklusion)
Dr.in Birgit Aschemann
Dr. Birgit Aschemann, MOOC-Macherin und Bereichsleiterin für Digitale Professionalisierung bei CONEDU Verein für Bildungsforschung und -medien, Arbeitsschwerpunkte in den Bereichen digitales Lehren und Lernen, Professionalisierung und Bildungsplanung.
1 vgl. Stöcklin, Nando (2012): Informations- und Kommunikationskompetenz – das „Lesen und Schreiben“ der ICT-Kultur. In: Medienpädagogik. Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung. Online verfügbar: https://www.medienpaed.com/article/view/202/202 (24.7.2020) [↩]
2 vgl. stellvertretend Schmid, Ulrich / Goertz, Lutz / Behrens, Julia (2018): Monitor Digitale Bildung. Die Weiterbildung im digitalen Zeitalter. Herausgegeben von der Bertelsmann Stiftung. Online verfügbar: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/monitor-digitale-bildung-13/ (20.1.2020) [↩]
3 vgl. Erpenbeck, John / Sauter, Werner (2017). Handbuch Kompetenzentwicklung im Netz: Bausteine einer neuen Lernwelt. Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Glossar S. 609. [↩]
4 vgl. mmb-Institut (Hg.): Lockdown oder Disruption? 10 Thesen zur Zukunft der Bildung. Online verfügbar: https://www.mmb-institut.de/wp-content/uploads/mmb-institut_10-thesen-zur-zukunft-der-bildung.pdf (24.7.2020) [↩]
5 Die Hauptquelle für diese Aussagen sind die Erfahrungen der Autorin als Leiterin einer Weiterbildungsabteilung für Digitale Professionalisierung in der Erwachsenenbildung. Hier gehen laufend Vortrags- und Workshop-Anfragen zu konkreten Fragestellungen der digitalen Erwachsenenbildung ein. [↩]
6 Wieland, Andreas / Wallenburg, Carl Marcus (2013): The influence of relational competencies on supply chain resilience: a relational view. International Journal of Physical Distribution & Logistics Management. Band 43, Nr. 4, S. 300-320. [↩]