WIE GEHT GUTE POLITISCHE BILDUNG?

Bildung für nachhaltige Entwicklung, Globales Lernen und politische Bildung

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist ein Konzept das sich bereits seit den 1990er Jahren entwickelt hat und aktuell verstärkte Wahrnehmung erfährt. Es vereint Bildungstraditionen der Umweltbildung und des Globalen Lernens. Letzteres ist ein Ansatz, der insbesondere den Nord-Süd-Konflikt und die damit gekennzeichneten globalen und sozialen Ungleichheiten thematisiert. Globales Lernen ist also ein besonders akzentuierter Zugang zur BNE, die eine ökologisch-soziale gesellschaftliche Transformation unterstützt.  Prof. Bernd Overwien erläutert die Zusammenhänge und zeigt die Bedeutung für die Politische Bildung auf.

Aktualitätsbezug

Die Klimakrise, die weltweiten Fluchtbewegungen und nun der Umgang mit einer globalen Pandemie, werfen Fragen nach adäquatem politischen Handeln auf, aber auch nach neuen Formen des Wirtschaftens und auch danach, wie Bildung die dazu notwendigen Denk- und Handlungsprozesse unterstützen kann.

→ Inhalt

Ein Nachdenken über ein koordiniertes globales Handeln und Alternativen wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung ist längst im Gange. So befassen sich Studien mit einer notwendigen „großen Transformation“ von Wirtschaft und Gesellschaft, mit dem Ziel einer  Klimaverträglichkeit und sie thematisieren auch, wie die digitale Entwicklung hier unterstützen kann1. Diskussionen über „Postwachstum“ gehen auch auf gemeinwohlorientierte Herangehensweisen einer notwendigen „großen Transformation“ ein. Das Ziel ist ein Leben im Rahmen planetarer Grenzen der vorhandenen Rohstoffe und auch des Klimas2. Auch die ökologischen und sozialen Folgen einer „imperialen Lebensweise“, als Ausdruck weltweiter Ungleichheit, werden intensiv diskutiert 3. Diese kurzen Hinweise verweisen auf Diskussionen, wie sie auch mit den Sustainable Development Goals (SDG), den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, verbunden sind.
BNE bezieht sich zunehmend auf die im September 2015 von der Weltgemeinschaft beschlossenen Ziele hin zu einer gerechteren und nachhaltigeren Welt. Hier geht es nicht mehr nur um die „Entwicklung“ der „Entwicklungsländer“, sondern auch die reichen Nationen müssen ihr Entwicklungsmodell überdenken4. Die kurze Skizze einiger Weltprobleme zeigt, dass hier auch umfangreiche Herausforderungen für politische Bildung liegen. In der Vergangenheit wurde in der schulisch orientierten Didaktik der politischen Bildung eher wenig über globale und Nachhaltigkeitsfragen diskutiert. Oft wurde auf das Überwältigungsverbot des Beutelsbacher Konsenses verwiesen, ohne zu überlegen, dass hier Dinge verhandelt werden, die im Artikel 20a des Grundgesetzes stehen, der die ökologische und soziale Verantwortung für nachfolgende Generationen anspricht. In der außerschulischen politischen Bildung gab es diese Vorbehalte viel weniger5.

Bildung für nachhaltige Entwicklung und Globales Lernen in der nonformalen Bildung

BNE und Globales Lernen beziehen sich (u.a.) auf einen Begriff von Nachhaltigkeit, wie er während der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 geprägt wurde: Es geht um „eine Entwicklung, (ist) die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können6. In der Agenda 21 wurden damals die Elemente eines notwendigen Wandels ausdifferenziert und verdeutlicht, dass formale, nonformale und informelle Bildung wichtige Beiträge auf dem Weg dorthin leisten sollen. Als Konsequenz daraus wird der Erwerb von Gestaltungskompetenz in der deutschen BNE als zentrales Ziel benannt. Dabei geht es um die Fähigkeit Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden zu können und auch in kritischer Weise Probleme nicht-nachhaltiger Entwicklung im Bereich Ökonomie, Ökologie und Soziales zu erkennen. Der notwendige Erwerb der Fähigkeit zur politischen Partizipation wird hierbei besonders betont7. Nach der UN-Dekade BNE (2004-2014) und dem UNESCO-Weltaktionsprogramm BNE (2015-2019) soll jetzt mit der Agenda 2030 und den SDGs mehr Schub in entsprechende Bildungsprozesse gebracht werden8.

"Es geht um die Fähigkeit, Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden zu können und auch in kritischer Weise Probleme nicht-nachhaltiger Entwicklung im Bereich Ökonomie, Ökologie und Soziales zu erkennen."

Der gemeinsame Weg von BNE und Globalem Lernen kommt besonders gut in einem „Orientierungsrahmen für den Lernbereich globale Entwicklung“ zum Ausdruck, den die Kultusministerkonferenz und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gemeinsam auf den Weg brachten9. Vor dem Hintergrund des Nachhaltigkeitsverständnisses der Vereinten Nationen werden Kompetenzen formuliert, wie die Fähigkeiten zu „Perspektivenwechsel und Empathie“, zur „Solidarität und Mitverantwortung“, zur „Handlungsfähigkeit im globalen Wandel“ oder auch zur „Partizipation und Mitgestaltung“. Schon jetzt finden sich entsprechende Ziele in aktuellen Lehrplänen der Bundesländer, jeweils für die politische Bildung, aber auch für andere Schulfächer10. Auch innerhalb der nonformalen Bildung wird der Orientierungsrahmen wahrgenommen, da hier ein politischer Wille zum Ausdruck kommt, auf den sich viele Bildungsanbieter beziehen können. Wenn über  BNE und Globales Lernen diskutiert wird, steht häufig die Schule im Mittelpunkt. Dies lässt vergessen, dass Umweltbildung und des Globalen Lernens in ihren Anfängen eng mit den Aktivitäten von Nichtregierungsorganisationen und Aktionsgruppen verbunden war. Lernen war damals und ist auch heute vielfach informelles Lernen in der Aktion11. Gleichzeitig sind außerschulische Angebote wichtig. Im Bereich nonformaler Jugend- und Erwachsenenbildung sind BNE und Globales Lernen  ein nicht kleiner Anteil des gesamten Angebotes. Eine Untersuchung, bei der insgesamt 5000 Institutionen befragt wurden, hat 2013 ergeben, dass etwa 2000 von ihnen Angebote in diesem Bereich realisieren12. Dabei dürften querschnittartig integrierte Teilthemenbereiche noch nicht erfasst sein.

Anforderungen an BNE in der nonformalen Bildung – ein Ausblick

Nonformale Bildung kann dazu beitragen, einer verbreiteten Orientierungslosigkeit, Informationsüberwältigung und auch Politikverdrossenheit entgegenzuwirken. Nun ist nonformale Bildung ja mehr als politische Bildung im engeren Sinne und deshalb kann und sollen BNE und globale Orientierungen auch als Querschnitt in die verschiedenen Aktivitäten des Bildungshandelns aufgenommen werden. Die Corona-Krise, die Klima-Krise oder der Umgang mit begrenzt verfügbaren Rohstoffen zeigen, dass die global verbundenen komplexen Problemzusammenhänge nur in globaler Kooperation zu bewältigen sind. Es ist aber auf ein Wirkungsgefüge von global und lokal zu achten. Die Verbindung globaler Ziele mit den Handlungsmöglichkeiten kommunaler Akteur*innen ist hierbei vorteilhaft: Der Vorteil von lokalen Akteur*innen ist, dass sie auf kontextgebundenes Wissen zurückgreifen können und verstehen, was unter den jeweiligen lokalen Besonderheiten funktioniert und was nicht. Dies entspricht der vielfach belegten Erkenntnis, dass ‚von oben‘ initiierte Veränderungsprozesse gerade deswegen häufig scheitern, weil sie das lokale Wissen unberücksichtigt lassen13. Institutionelle und kommunale Strukturen bieten konkrete und bisher zu wenig genutzte Handlungsmöglichkeiten für Klimaschutzaktivitäten und weitere Dimensionen der „großen Transformation“, die sich etwa in veränderten Wirtschaftsweisen abbilden. Komplexität, Widerstände, Dilemmata sowie bestehende (bzw. sich im Transformationsprozess ergebene) Konflikte sollen nicht Ohnmacht auslösen. Vielmehr sollen sie als Chance aufgefasst werden, daraus Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln und den Transformationsprozess aktiv zu gestalten, anstatt passiv am Rande zu stehen und Fehlentwicklungen lediglich zu beobachten. Es ist zu erwarten, dass Teilnehmende an Bildungsprozessen eine Vielzahl von Ideen und eigenen Vorstellungen mitbringen, wie konkrete Veränderungen aussehen können und sollen. Sie bringen bereits Fähigkeiten mit und erwerben weitere einschlägige Urteils- und Handlungskompetenzen.

"Komplexität, Widerstände, Dilemmata sowie bestehende (bzw. sich im Transformationsprozess ergebene) Konflikte sollen nicht Ohnmacht auslösen.."

Wichtig sind dabei auch Gefühlslagen und ihre Bearbeitung. So zeigt die aktuelle Shell-Jugendstudie, dass  12-25jährige Menschen in Deutschland ein erhebliches Angstpotential haben 71% von ihnen geben an, dass ihnen Umweltverschmutzung und Klimawandel Angst machen, wie im Übrigen auch Terror und die Folgen populistischer Interventionen14. Schon in den 1990er Jahren gab es eine Diskussion um den Umgang mit Angst, die ja durchaus naheliegen kann. Als Konsequenz sollten BNE und Nachhaltigkeit in der Folge als eine positive Vision entwickelt werden. Dabei gerieten die Befindlichkeiten der Lernenden aus dem Blick15. In der Umweltbildung der 1990er Jahre gab es Überlegungen, die diesbezüglich auch noch heute wichtig sind. Ein Zitat bringt den Umgang damit gut auf den Punkt und ist nach wie vor gültig:

… wir müssen lernen, mit der Angst zu leben, nicht gegen sie. (…)  wir müssen eine neue Qualität im Umgang mit der Angst entwickeln. es geht darum, Strategien zu finden, die es uns ermöglichen, die Balance zu halten zwischen angst und sorge einerseits und Tatkraft und Handlungsfähigkeit andererseits.16

Auch dazu kann nonformale Bildung als politische Bildung, aber auch mit integrierter politischer Bildung in andere Arbeitsfelder einen wichtigen Beitrag leisten, gehört auch der reflektierte Umgang mit eigenen Befindlichkeiten und deren gesellschaftlichen Ursachen zum Grundbestand einer an den Teilnehmenden orientierten Bildung.
Picture of Prof. Dr. Bernd Overwien

Prof. Dr. Bernd Overwien

Ehemalige Leitung des Fachgebiets "Didaktik der politischen Bildung" an der Universität Kassel

1 Siehe WBGU (2019): Unsere gemeinsame digitale Zukunft. Berlin, siehe: https://www.wbgu.de/de/publikationen/publikation/unsere-gemeinsame-digitale-zukunft#sektion-downloads (23.08.2020) sowie WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hauptgutachten, Berlin. []

Umweltbundesamt (2018):  Gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetarer Grenzen Der Ansatz einer vorsorgeorientierten Postwachstumsposition. Texte 89. Dessau. []

Brand, Ulrich; Wissen, Markus (2017): Imperiale Lebensweise. Zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. Oekom-Verlag München. []

4 Keil, Andreas (2019): Agenda 2030 und BNE. Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Perspektiven für das Fach Geographie. In: Praxis Geographie 6/2019: S. 4-9. []

vgl. Overwien, Bernd (2016): Globales Lernen und politische Bildung –  eine schwierige Beziehung? In: ZEP (Zeitschrift für internationale  Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik) Heft 2, S. 7-11  https://www.waxmann.com/index.php?eID=download&id_artikel=ART101989&uid=frei (2.9.2020) []

6 Hauff, Volker (1987): Unsere gemeinsame Zukunft – Der Brundtland-Bericht der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung. Greven, S.: 46. []

7 de Haan, Gerhard/Harenberg, Dorothee (1999): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Gutachten zum Programm. Heft 72. BLK (Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung). Bonn. []

8 Overwien, Bernd (2020): Bildung für nachhaltige Entwicklung und globales Lernen. In: Bade, Gesine; Henkel, Nicholas; Reef, Bernd: Politische Bildung: Vielfältig – kontrovers – global. Festschrift für Bernd Overwien. Frankfurt,  S. 230-247. []

KMK/BMZ (2016): Orientierungsrahmen für den Lernbereich Globale Entwicklung im Rahmen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung. 2., aktual. und erw. Aufl., Berlin: Cornelsen. []

10 Lang-Wojtasik (2020): Bildung und/oder nachhaltiges Lernen? Erziehungswissenschaftliche Überlegungen für Global Citizenship Education. In: Bade, Gesine; Henkel, Nicholas; Reef, Bernd: Politische Bildung: Vielfältig – kontrovers – global. Festschrift für Bernd Overwien. Frankfurt,  S. 181-203 []

11 Overwien, Bernd (2013): Informelles Lernen in politischer Aktion und in sozialen Bewegungen. In: Außerschulische Bildung, Zeitschrift des Arbeitskreises außerschulischer Bildungsstätten, Heft 3, S.247-255. []

12 Michelsen, Gerd; Rode, Horst; Wendler, Maya; Bittner, Alexander (2013): Außerschulische Bildung für nachhaltige Entwicklung eine Bestandsaufnahme am Beginn des 21. Jahrhunderts. München. []

13 WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen) (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Hauptgutachten, Berlin. []

14 Albert, Mathias; Hurrelmann, Klaus; Quenzel, Gudrun (2019): Jugend 2019. Weinheim u.a. []

15 Overwien, Bernd (2019): Umwelt, Klimawandel, Globalisierung – Ängste in der politischen Bildung. In: Besand, Anja; Overwien, Bernd; Zorn, Peter (Hrsg.): Politische Bildung mit Gefühl. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, S. 305-318. []

16 Preuss, Sigrun (1992): Umweltkrise- Bewältigungskrise. In: Marahrens, Walter ; Stuik, Hans (Hrsg.): Und sie dreht sich doch…“ Umgehen (mit) der Endzeitstimmung. Gesellschaftliche und pädagogische Konzepte gegen die Resignation. Mühlheim/Ruhr, S. 20-26. []

Vertiefende Dossiers

Diversität
Die Pluralität unserer Gesellschaft muss sich auch in der Didaktik guter politischer Bildung widerspiegeln. Dieses Dossier zeichnet die Grundlagen des didaktischen Umgangs mit Heterogenität nach und führt in die Überlegungen zur Diversität ein.
Dossier
Digitale Praxis
Die politische Erwachsenenbildung wendet sich aktuell vermehrt digitalen Bildungsmöglichkeiten zu und stellt dabei ihre Angebote um. Es ist also höchste Zeit zu reflektieren, wie eine gute, digitale Praxis der politischen Erwachsenenbildung aussehen kann.
Dossier
Geschichte
Die Geschichte der politischen Erwachsenenbildung ist in Deutschland eine lebhafte. Um die heutige Prägung einordnen zu können, bedarf es einer historischen Kontextualisierung, die den verschiedenen Entwicklungsströmen nachspürt und sichtbar macht.
Dossier
Gefördert durch die Bundeszentrale für politische Bildung