WIE GEHT GUTE POLITISCHE BILDUNG?

Politische Bildung ist vielfältig und divers – Ein Überblick über die politische „Bildungslandschaft“ anhand der Topografie der Praxis politischer Bildung

Mit der Topografie der Praxis politischer Bildung gibt Transfer für Bildung e.V. einen Überblick über die Vielfalt und Differenziertheit der politischen Bildungslandschaft, deren Strukturen und Ansätze. Die Topografie soll damit zu gegenseitiger Wahrnehmung und fachlichem Austausch – für eine Stärkung politischer Bildung – beitragen.

Einleitung

Wie kann die Profession politischer Erwachsenenbildung gestärkt werden, wenn Akteur*innen politischer Bildung und pädagogische Fachkräfte manchmal selbst nicht genau wissen, wo überall im weiten Feld der Erwachsenenbildung/Weiterbildung (EB/WEB) politische Bildung, mit welchem Bildungsverständnis und unter welchen Rahmenbedingungen, angeboten wird?

→ Inhalt

Wiltrud Gieseke stellt fest, dass sich innerhalb der Erwachsenenbildung/Weiterbildung Begrifflichkeiten aufgrund unterschiedlicher Handlungsfelder und Strukturbedingungen ausdifferenziert haben. Daraus folgt eine große Anstrengung, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Teildisziplinen bzw. Praxisfelder herauszuarbeiten 1. Der folgende Beitrag stellt die Topografie der Praxis politischer Bildung vor, die einen Überblick und Informationen über diejenigen pädagogischen Praxisfelder gibt, in denen politische Bildung mit verschiedenen Konzepten verortet ist.

Topografie der Praxis Politischer Bildung

Die Feststellung Giesekes zur Ausdifferenzierung der EB/WB trifft auf alle pädagogischen Praxisfelder zu, in denen politische Bildung angeboten wird bzw. Teil der Bildungsarbeit sein kann. Mit der Topografie der Praxis politischer Bildung hat sich Transfer für Bildung e.V. (TfB e.V.) der Herausforderung angenommen, diese Praxisfelder sichtbar zu machen und zu systematisieren. Sie hat für alle Interessierten ein Tool geschaffen, in dem formale und nonformale Praxisfelder politischer Bildung grafisch dargestellt und mit Informationen „unterfüttert“ sind.

Topografie der Praxis politischer Bildung (© Transfer für Bildung e.V.)
Topografie der Praxis politischer Bildung (© Transfer für Bildung e.V.)

Ausgangspunkt war die Frage, wo politische Bildung angeboten wird, wie und für wen. Unterscheidungen innerhalb der politischen Bildung ergeben sich durch das Bildungssetting (formal/nichtformal), die zugrunde liegenden Bildungskonzepte sowie daraus folgenden pädagogischen Parametern (z.B. Freiwilligkeit vs. Schulpflicht). Außerdem gibt es Unterschiede bei den pädagogischen Arrangements (Formate, Settings, Methoden), der fachlichen oder thematischen Ausrichtung und den programmatischen Zielen (thematische Schwerpunkte, Bildungsziele, politische Ziele). Einige Praxisfelder ordnen sich explizit politischer Bildung zu, andere betrachten politische Bildung als Teil ihres Allgemeinbildungsanspruchs bzw. emanzipatorischer Pädagogik (Persönlichkeitsentwicklung, gesellschaftliche Teilhabe). Zudem gibt es eine vielfältige Trägerlandschaft, die politische Bildung auf unterschiedlichen Ebenen (als lokale Träger, auf Landes-, Bundes- oder internationaler Ebene) für verschiedene Adressat_innen und mit unterschiedlichen Schwerpunkten (Bildung für nachhaltige Entwicklung, religiöse Bildung, Antirassismusarbeit etc.) anbieten.

Systematisierung

Um dieser Vielfalt gerecht zu werden und die Praxisfelder gleichzeitig logisch und nachvollziehbar zu ordnen, orientiert sich die Topografie an Annahmen aus der Systemtheorie nach Niklas Luhmann. Dieser geht davon aus, dass sich die (Welt-)Gesellschaft in soziale „Systeme“ strukturiert, die sich von ihrer Umwelt und von anderen Systemen abgrenzen und nach spezifischen Eigenlogiken funktionieren. Für die Topografie wurden die Praxisfelder somit in Systeme und Subsysteme unterteilt, da man sie jeweils weiter und enger fassen kann. Dies ist zum Beispiel in der Kinder- und Jugendhilfe oder der Erwachsenenbildung der Fall. So kann man innerhalb des Systems Erwachsenenbildung zwischen der allgemeinen und beruflichen Erwachsenenbildung, der politischen Erwachsenenbildung, kultureller Bildung oder Medienbildung etc. als jeweilige Subsysteme unterscheiden.

"Es stellt sich die Frage, wie es die Praxisfelder trotz ihrer Unterschiedlichkeit schaffen, miteinander zusammenzuarbeiten, sich aufeinander zu beziehen oder Kooperationen einzugehen."

Die Systeme und Subsysteme bzw. Praxisfelder politischer Bildung werden in der Topografie als Kreise dargestellt. Die dunklen Felder weisen die „Kernfelder“ politischer Bildung aus, hier wird explizit und als Hauptarbeitsfeld politische Bildungsarbeit praktiziert. Zu ihnen gehören der Fachunterricht Politik (in den einzelnen Bundesländern mit unterschiedlichen Bezeichnungen), Demokratiepädagogik / schulbezogene Demokratiebildung, politische Erwachsenenbildung, politische Jugendbildung, politische Bildung in der Bundeswehr und politische Bildung in der wissenschaftlichen Weiterbildung. In den anderen Feldern ist politische Bildung ein Teil des (Bildungs-)Angebots oder es kann Gelegenheiten für politische Bildungsprozesse / politisches Lernen geben – politische Bildung kann hier vorkommen, muss es aber nicht.

Transfer für Bildung e.V.

Der Name des Vereins ist Programm: Transfer für Bildung e.V. (TfB) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Transfer zu ermöglichen, Verbindungen herzustellen, Wissen weiterzugeben und Übersetzungen zu leisten.

Mit der Transferstelle politische Bildung und der Fachstelle politische Bildung möchte das Team mithelfen, die Beziehungen von Wissenschaft und Praxis zu verbessern und damit die Qualitätsentwicklung der politischen Bildung unterstützen.

Transfer für Bildung e.V.  hat sich zum Ziel gemacht zu

  • informieren, um die stark verstreuten Forschungsarbeiten und -diskurse, die Bedingungen und Konzepte der Praxis und die Akteure in den jeweiligen Feldern bekannter und zugänglicher zu machen;

  • vernetzen, um den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis sowie innerhalb der jeweiligen Wissenschafts- und Praxisfelder anzuregen und zu ermöglichen;

  • übersetzen“ und beraten, um Wissen, Interessen und Verständnis in unterschiedliche Kontexte zu übertragen (zu transferieren).

Der Verein hat dafür zahlreiche Angebote und Instrumente entwickelt. Neben eigenen Veröffentlichungen und Veranstaltungen sind dies Tools wie eine Datenbank, die Landkarte der Forschung zu politischer Bildung, die Topografie der Praxis politischer Bildung und das Matching-Portal.

Weiter stellt sich die Frage, wie es die Praxisfelder trotz ihrer Unterschiedlichkeit schaffen, miteinander zusammenzuarbeiten, sich aufeinander zu beziehen oder Kooperationen einzugehen. Nach Luhmann haben Systeme zwar eine Eigenlogik, müssen jedoch, um ihr Fortbestehen zu sichern, mit anderen Systemen kommunizieren. Dafür haben sich sogenannte symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien manifestiert, die eine Möglichkeit der Differenzüberwindung einzelner Systeme schaffen, d.h. eine gegenseitige Kommunikation und damit verbundenes Verstehen trotz Unterschiedlichkeit ermöglichen2. Zu diesen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien zählen Recht/Unrecht, Wissenschaft (Wahrheit) und Politikbereiche (Macht). Die daraus folgende Konsequenz ist die Unterscheidung der Praxisfelder politischer Bildung jeweils nach ihren Rechts-, Politik- und Wissenschaftsgrundlagen.

Rechtsgrundlagen

Gesetze, Beschlüsse und Verordnungen regeln die jeweiligen Praxisfelder hinsichtlich ihrer Aufgaben, Inhalte, Verantwortungen, inhaltlichen Ziele sowie der jeweiligen Zielgruppen und geben damit die Funktion des Systems vor. Die Praxisfelder politischer Bildung nach ihren rechtlichen Regelungen zu ordnen, ermöglicht eine nachvollziehbare Systematisierung, der – unabhängig von Zielgruppen, Trägern oder Wettbewerb bei der Mittelverteilung – eine für alle gleich geltende Verbindlichkeit innewohnt. Zudem sind mit rechtlichen Vorgaben auch praxisfeldspezifische Aufgaben, Leistungserbringungen, Prüfungsverfahren oder Anerkennungsverfahren von Trägern sowie systemspezifische Förderungsvoraussetzungen und -verfahren verbunden.
Gesetze, Beschlüsse und Verordnungen regeln die jeweiligen Praxisfelder hinsichtlich ihrer Aufgaben, Inhalte, Verantwortungen, inhaltlichen Ziele sowie der jeweiligen Zielgruppen und geben damit die Funktion des Systems vor. Die Praxisfelder politischer Bildung nach ihren rechtlichen Regelungen zu ordnen, ermöglicht eine nachvollziehbare Systematisierung, der – unabhängig von Zielgruppen, Trägern oder Wettbewerb bei der Mittelverteilung – eine für alle gleich geltende Verbindlichkeit innewohnt. Zudem sind mit rechtlichen Vorgaben auch praxisfeldspezifische Aufgaben, Leistungserbringungen, Prüfungsverfahren oder Anerkennungsverfahren von Trägern sowie systemspezifische Förderungsvoraussetzungen und -verfahren verbunden.

Politische Grundlagen

Weil Politik rechtliche Regelungen und Finanzströme verantwortet, können die Praxisfelder politischer Bildung den unterschiedlichen Politikbereichen zugeordnet werden. Kinder- und Jugendpolitik, Schulpolitik, Sozialpolitik oder Hochschulpolitik verfolgen jeweils eigene politische Ziele und beziehen sich auf unterschiedliche Praxisfelder. Die Praxisfelder gestalten ihre jeweilige „Systemlogik“ daher in einem Spannungsfeld politischer Machtkämpfe aus und beziehen sich – zustimmend oder ablehnend – auf die für sie geltenden politischen Beschlüsse und Bedingungen.

Wissenschaftliche Grundlagen

Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal für die Einteilung von Praxisfeldern politischer Bildung ist die Wissenschaft. Auf Grundlage eingehender Recherchen zur thematischen und disziplinären Verteilung in der Wissenschaft ordnete TfB e.V. ein, auf welche Praxisfelder sich die Wissenschaftsdisziplinen beziehen und welche wissenschaftlichen Erkenntnisse und theoretischen Rahmungen diesen jeweilig als fachliche und konzeptionelle Grundlagen dienen. Wissenschaft beeinflusst mit ihren Theorien, Erkenntnissen und Konzepten die praktische Bildungsarbeit.

Fazit: Die Vielfalt der Politischen Bildung ist ein Gewinn

Die Topografie der Praxis politischer Bildung möchte der Vielfalt der politischen „Bildungslandschaft“ gerecht werden und sie gleichzeitig logisch nachvollziehbar darstellen. Viele Praxisfelder weisen trotz ihrer Unterschiedlichkeiten Gemeinsamkeiten auf, bezogen auf politische Bildungs-(Möglichkeiten) sowie im Hinblick auf Rechtsgrundlagen, Altersgruppen, Wissenschaftsbezüge und Politikbezüge. Dies ist grafisch durch Überschneidungen der Kreise („Schnittstellen“) abgebildet. Übergeordnetes Ziel der Topografie ist deshalb, durch die Sichtbarmachung der vorhandenen Überschneidungen und Gemeinsamkeiten miteinander ins Gespräch zu kommen, Anschlussmöglichkeiten für eine fachliche Weiterentwicklung zu entwickeln und durch gezielte „Grenzüberschreitung“ des eigenen Systems Synergien zu schaffen. Transfer für Bildung e.V. möchte damit Gemeinsamkeiten und langfristig eine bessere Zusammenarbeit, im Sinne einer starken Vielfalt politischer Bildungsangebote, unterstützen und dazu anregen, die Differenziertheit und Bandbreite als Gewinn wahrzunehmen.
Picture of Annabell Brosi

Annabell Brosi

Die Autorin arbeitet als wissenschaftliche Referentin bei Transfer für Bildung e.V.

Gieseke, Wiltrud (2018): Professionalität und Professionalisierung in der Erwachsenenbildung/Weiterbildung. In: Tippelt, Rudolf / Hippel, Aiga von (Hrsg.): Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung. Band 2 (6. Aufl.). Wiesbaden, S. 1051-1070. []

2 Luhmann, Niklas (2002): Die Wirtschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main []

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