Grundbegriffe
der Politischen Bildung

Prävention

Prävention bezeichnet allgemein Anstrengungen, einen ungewünschten Zustand zu verhindern. Diese lassen sich zunächst mit Blick auf den jeweiligen Zeitpunkt unterscheiden, denen sich je nach Handlungsfeld (hier Rechtsextremismusprävention) unterschiedliche Ansätze zuordnen lassen (vgl. Rieker 2009).

Primäre Prävention soll problematische Handlungsweisen im Vorfeld verhindern. Ansätze finden sich in der Vielfalts-, Menschenrechts- und Demokratiepädagogik, als Querschnittsaufgabe in Jugendarbeit und Schulen. Ein direkter Bezug zu Rechtsextremismus wird dabei selten vorgenommen. Ziel sekundärer Prävention ist es, eine Verstärkung bestehender Auffälligkeiten zu verhindern. Dazu zählen gezielte Ansätze der Jugendarbeit und Trainings mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen oder solchen, die abwertende oder menschenfeindliche Einstellungen und Haltungen zeigen. Spezifische Grundlagen und Standards für professionelles Handeln sind dafür relevant. Tertiäre Prävention reagiert auf bereits manifeste Haltungen und Handlungen. Sie findet sich im Bereich der Einzelfall- und Ausstiegsarbeit, in Straffälligenhilfe oder Justizvollzug. Distanzierungsarbeit vermittelt zwischen beiden letzten Stufen. In dieser Differenzierung liegt eine Entgrenzung des Begriffs: Primär sollen Handlungsweisen verhindert werden, für die es noch keine Anhaltspunkte gibt, tertiär sind diese bereits eingetreten.

Prävention kann auch entlang ihrer Adressat*innen unterschieden werden. Universelle Prävention richtet sich nahezu unterschiedslos an alle, während selektive oder gezielte Prävention auf bestimmte Risikogruppen zielt. Indizierte Prävention fokussiert Zielgruppen, die Problemausprägungen bzw. den ungewünschten Zustand bereits zeigen (Kemmesies 2020). Problematisch erscheint hier die Etikettierung als Risikogruppe. Profilbildungen können zur Stigmatisierung oder Pathologisierung führen oder diese verstärken. Eine möglichst enge begriffliche Begrenzung ist notwendig (Greuel 2020). Gezielte Prävention sollte daher nur auf konkretes, beobachtbares Verhalten und Positionen reagieren (Glaser et al. 2020).

Prävention ist immer auch Herrschaftsinstrument, welches versucht geltende Normen und Werte gegen Einzelne und Gruppen durchzusetzen (Bröckling 2008) und muss daher auch als „Verhinderung selbstbestimmten Lebens in der Gegenwart im Namen der Zukunft“ (Kappeler 2016) kritisch verstanden werden. In einer ordnungspolitischen Perspektive ist sie auf zugrundeliegende Gefährdungserwartungen zu befragen, richten sich diese doch auch auf Machterhalt, Gewinnchancen und Regulationshoheiten.

Kontroversen um Prävention kreisen – im hier betrachteten Feld – um die schwer greif- und belegbare Wirksamkeit aufgrund multifaktorieller Einflüsse sowie paradoxer Effekte. Prävention hat Legitimationsprobleme wenn sie wirkungsvoll ist: der Grund warum sie ergriffen wurde ist weggefallen.

In Reflexion unerwünschter Effekte lässt sich in der (sozial)pädagogischen, zivilgesellschaftlichen und Bildungs-Praxis mit einem kritischen Präventionsbegriff arbeiten. Für die Prävention gegen Ungleichwertigkeitsvorstellungen, Demokratiefeindschaft, Verschwörungsideologien oder Rechtsextremismus existieren eine Fülle unterschiedlicher Herangehensweisen, Konzepte und ausdifferenzierten Methoden. Radvan (2013) verweist auf die Folgen eines verkürzten Blickes aber auch auf Perspektiven und Potenziale, wenn dabei die Kategorie Geschlecht grundlegend einbezogen wird. Geschlechterreflektierende Prävention berücksichtigt Geschlecht auf allen Ebenen in Analyse und Ableitungen.

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Enrico Glaser & Judith Rahner (Amadeu Antonio Stiftung)

Enrico Glaser & Judith Rahner (Amadeu Antonio Stiftung)

Enrico Glaser ist Sozialwissenschaftler und Mitarbeiter der Fachstelle. Seit vielen Jahren ist er in der Erwachsenenbildung, vorrangig im Themenfeld Auseinandersetzung der Jugendhilfe mit Neonazismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, tätig. Schwerpunkt der Arbeit waren und sind geschlechterreflektierende Präventionsansätze.

Judith Rahner studierte Gender-Studies, Musik- und Erziehungswissenschaften und leitet im Rahmen des Kompetenznetzwerk Rechtsextremismusprävention den Projektbereich Rechtsextremismus sowie die Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus. Sie ist seit vielen Jahren in der Jugend- und Erwachsenenbildung tätig und berät aktuell insbesondere zu antifeministischen Anfeindungen.

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Grundbegriffe der Politischen Bildung

Um Kontroversen, Positionen und Perspektiven in der Politischen Bildung einordnen zu können, braucht es Wissen um dahinterliegende Diskurse. Die Traditionslinien der Politischen Bildung schlagen sich dabei auch im Fachvokabular der Profession nieder. Die Begriffsprägungen zeigen somit Erkenntnisse, Konsense aber auch Konfliktlinien innerhalb des Fachdiskurses an. Der hierbei entstehende argumentative Dialog ringt dabei zugleich um Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam mit unseren Autor*innen aus der Politischen Bildung stellen wir an dieser Stelle Grundbegriffe der Politischen Bildung vor.

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