Grundbegriffe
der Politischen Bildung

Intersektionalität

Intersektionalität ist ein Ansatz, der Ende der 1980er Jahre aus der Reihe der antirassistischen und Antidiskriminierungsarbeit entstanden ist. Der Fokus liegt hierzu bei der Verwobenheit von unterschiedlichen Merkmalen, die entlang Kategorien wie Gender, Race, Religion und Ethnizität zusammentreffen. Diese Kategorien werden immer wieder von anderen Merkmalen wie z.B. Klasse, Alter, Behinderung ergänzt. Das Über- und Ineinandergreifen diesen verschiedenen Formen von Diskriminierung stellt generell die Herausforderung in der politischen Bildungsarbeit dar, sie zu decodieren und dem etwas entgegenzusetzen. Im Setting der Politischen Bildung gilt es somit, die Machtverhältnisse und Ungleichheiten, die sich durch solche Verschränkungen artikulieren, aufzuzeigen und zu brechen. Während die Decodierungsphase sich mit dem Mechanismus der Diskriminierung befasst, d.h. der Frage nachzugehen, wo Zuschreibungen, Abwertungen und Deprivilegierungen stattfinden, wird sich das Entgegenwirken auf das Handeln in Form einer Intervention konzentrieren; wie lässt sich Vielfalt gestalten und Ungleichheiten widerstreiten?

Deprivilegierung ist der Prozess, der Menschen ihren Privilegien abspricht und ihren Zugang zu Ressourcen abwehrt. Es wird oft im Kontext von Privilegien benutzt, der wie folgt definiert werden kann. „Ein Privileg ist ein Recht, ein Vorteil oder eine Sicherheit, die ein Mensch aufgrund einer (zugeschriebenen) Zugehörigkeit zu einer Gruppe bekommt. Gleichzeitig bleibt diese Person aufgrund dieses Privilegs von bestimmten Belastungen und Diskriminierungen verschont. Privilegien beruhen auf historisch gewachsenen, institutionalisierten Systemen – wie beispielsweise Sexismus oder Rassismus.“ (vgl. Quix, S.98)

Zahlreiche Bürgerrechtsbewegungen aus den USA haben Anfang des 20. Jahrhunderts den Ansatz der Intersektionalität stark mitbestimmt, um die Verschränkung von Diskriminierung multidimensional zu erfassen. Darunter zählen die Arbeit von Schwarzen feministischen Kritiker*innen, die bspw. die Kategorie Geschlecht – im Vergleich zu ihren weißen Pendant – als zentrale Differenz- und Hierarchisierungskategorie gesehen haben, um die Interdependenz von Sexismus und Rassismus auf eine Ebene der nicht weißen Betroffenheit anzuprangern. Die Auseinandersetzung mit Intersektionalität spiegelt sich häufig in Deutschland in akademisch-wissenschaftlichen weißen Kreisen wider, wo Machtasymmetrien und Disziplinierungen, die auf strukturell rassistischen Ausschlussmechanismen beruhen, nahezu ungebrochen fortwirken. Dennoch wird der Ansatz zunehmend in der pädagogischen Praxis und politischen Bildung verwendet, um strukturelle Diskriminierung erkennbar zu machen und diesem entgegenzuwirken.

Weiterlesen:

  • Quix kollektiv für kritische Bildungsarbeit (2016): Willst du mit mir gehen. Gender-Sexualitäten-Begehren in der machtkritischen und entwicklungspolitischen Bildungsarbeit, S.98. Wien
  • Intersektionalität (2016): Bildungsmaterialien Nr.4 der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Berlin
  • Julia, Roth (2010): Weiß sehen. Dekoloniale Blickwechsel mit Zora Neale Hurston und Toni Morrison. Roßdorf
  • Walgenbach, Katharina (2007): Gender als interdependente Kategorie. Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität. Opladen: Budrich
  • Kourabas, Veronika (2019): Glossar. Bedeutung und Anwendung zentraler Begriffe im Kontext der Rassismuskritik.
  • Lorey, Isabell (2008): »Kritik und Kategorie. Zur Begrenzung politischer Praxis durch neuere Theoreme der Intersektionalität, Interdependenz und Kritischen Weißseinsforschung«, eipcp – European Institute for Progressive Cultural Policies.  www.eipcp.net/transversal/0806/lorey/de (abgerufen am 17.08.2022).
  • Paul, Scheibelhofer (2011): Intersektionalität, Männlichkeit und Migration – Wege zur Analyse eines komplizierten Verhältnisses. In: Sabine Hess, Nikola Langreiter und Elisabeth Timm (Hrsg.): Intersectionality Revisited. Empirische, theoretische und methodische Erkundungen. Bielefeld
  • Rommelspacher, Birgit (2009): »Intersektionalität – Über die Wechselwirkung von Machtverhältnissen«. In: Feminismus. Kritik und Intervention. Hrsg. Ingrid Kurz-Scherf. Westfälisches Dampfboot. S. 81–96
Alioune Niang

Alioune Niang

Alioune Niang ist Bildungsreferent der Fachstelle für Pädagogik zwischen Islam, antimuslimischem Rassismus und Islamismus in Berlin und koordiniert die Beratungs- und Fortbildungsangebote der Fachstelle. Er studierte Rechtswissenschaften an der Universität Cheikh Anta Diop in Dakar und Geschichte und Romanistik an der Universität Bremen. Als pädagogischer Mitarbeiter im Verein Arbeit und Leben in Bremen beschäftigte er sich in der politischen Erwachsenenbildung schwerpunktmäßig mit den Themen Afrika und Afrikabilder in Deutschland. Niang war 2008 bis 2014 Vorstandsmitglied beim Afrika-Netzwerk Bremen und engagiert sich im Integrationspolitischen Dialog der Hansestadt. Parallel dazu arbeitete Niang in unterschiedlichen Institutionen als Referent zu den Themen Islam und Migration. Er war Vorstandsmitglied der SCHURA Bremen, dem Dachverband islamischer Organisationen in Bremen.

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Grundbegriffe der Politischen Bildung

Um Kontroversen, Positionen und Perspektiven in der Politischen Bildung einordnen zu können, braucht es Wissen um dahinterliegende Diskurse. Die Traditionslinien der Politischen Bildung schlagen sich dabei auch im Fachvokabular der Profession nieder. Die Begriffsprägungen zeigen somit Erkenntnisse, Konsense aber auch Konfliktlinien innerhalb des Fachdiskurses an. Der hierbei entstehende argumentative Dialog ringt dabei zugleich um Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Gemeinsam mit unseren Autor*innen aus der Politischen Bildung stellen wir an dieser Stelle Grundbegriffe der Politischen Bildung vor.

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