Digitale Praxis
der Politischen Bildung

Virtuelles Lernen mit 360°-Videos
Politische Bildung zwischen Virtuellem und Realem

Virtual Reality, Augmented Reality, 360°-Videos – (teil-)künstliche Realitäten gewinnen bei dem digitalen Lernen an Bedeutung. Die Autor*innen Sarah Röhr und Dr. Robert Lohmann der Konrad-Adenauer-Stiftung beleuchten in diesem Erfahrungsbericht des Adenauer Campus die Möglichkeiten von 360°-Videos im Lehr-Lern-Verhalten und zeigen praktische Anwendungsmöglichkeiten auf.

360°-Videos als Medium des (digitalen) Lernens

Digitales Lernen findet auf vielen Ebenen statt und ist mehr als digitalisiertes Lernen.

Es geht also nicht darum, bekannte Lehr-Lern-Formate in das Digitale zu übertragen. Vielmehr zeichnet sich digitales Lernen dadurch aus, dass es mit den neuen Möglichkeiten des Digitalen etwas Neues schafft. 360°-Videos zählen zu dieser Form des digitalen Lernens, ebenso wie Virtual oder Augmented Reality-Anwendungen.

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In anderen Fachbereichen (bspw. der Museumspädagogik) schon lange eingesetzt, halten diese Techniken auch in der politischen Bildungsarbeit Einzug. Die pandemiebedingten Erfahrungen wirken dabei als Verstärker. Allerdings gehen mit diesen Techniken auch Herausforderungen einher. Konsens sollte sein, dass sie ergänzend einzusetzen sind. Lernerfahrungen speisen sich aus einer Vielzahl an Methoden, digitale sind ein Teil davon. Reale Erfahrungen sollen also nicht verdrängt werden. Auch sind (zumindest derzeit) die Herstellungskosten digitaler Inhalte noch relativ hoch, sodass sie zielgenau eingesetzt werden sollten.

"Konsens sollte sein, dass digitales Lernen ergänzend einzusetzen ist. Lernerfahrungen speisen sich aus einer Vielzahl an Methoden, digitale sind ein Teil davon. Reale Erfahrungen sollen also nicht verdrängt werden."

Sarah Röhr & Dr. Robert Lohmann

In den Wirren von Begrifflichkeiten

Die Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten wie auch Beispiele bringt eine ebenso große Vielfalt an Benennungen und Begrifflichkeiten mit sich. Hier eine kurze Übersicht:

  • Virtual Reality bezieht sich zumeist auf eine computergenerierte 3D Umgebung, welche den Nutzer*innen umgibt und möglichst interaktiv gestaltet ist.
  • Ein wichtiger Begriff hierbei ist das immersive Erlebnis, also das Eintauchen in ein Erlebnis. Virtual Reality beruhen auch vielfach auf Interaktion, um eine möglichst vielseitige Ansprache der Nutzer*innen zu erreichen.
  • 360°-Videos grenzen sich gegenüber der virtuellen Realität ab, da sie keine künstliche Umgebung haben, sondern gefilmte reale Umgebungen zeigen. Augmented Reality wiederum stellt eine Erweiterung der Realität dar, also eine Einbindung computergenerierter Bilder in die Realität.

Hands-on: Wie geht das mit den 360°-Videos?

Da 360°-Videos reale Situationen zeigen, sind ihre Einsatzmöglichkeiten unbegrenzt. Orte die nicht oder nur begrenzt der Öffentlichkeit zugänglich sind, bieten sich hierfür besonders an. Das Team des Adenauer Campus, Teil der Hauptabteilung Politische Bildung der Konrad-Adenauer-Stiftung, hat mit der Reihe „360° – Ein Arbeitstag mit…“ mehrere Beiträge für die politische Bildungsarbeit geschaffen, welche frei zugänglich sind. Bisher erschienen sind Beiträge zum Europäischen Parlament, dem Bundestag sowie dem Landtag in Nordrhein-Westfalen. Ergänzt werden soll die Reihe durch Einblicke in die Arbeit einer Bürgermeisterin und einen Besuch bei den Vereinten Nationen in New York. Damit ist die Breite der Orte politischer Entscheidungsprozesse weitestgehend abgedeckt. Direkt unter diesem Beitrag erhalten Sie Einblicke in eines der 360°-Videos.

Vor der Erstellung der Videos wurden die Protagonist*in angefragt, welche durch das Video Zusehende in einen gewöhnlichen Arbeitstag mitnimmt. Die Aufgabe ist es nach dem Follow-Me-Around Prinzip Einblicke in den Arbeitsort und Arbeitsalltag zu ermöglichen. Damit einhergehend kann durch diesen Zugang die Komplexität des Wirkens einer Politiker*in aufgezeigt werden. Ein zusätzlicher Anreiz ist, dass Einblicke in Orte möglich sind, die sonst nicht zugänglich sich, wie beispielsweise Büros der Protagonist*innen. Als Vorbereitung auf den Drehtermin wurde ein Skript geschrieben, um die Hauptperson im Tagesgeschäft nicht zu sehr zu stören und gleichsam einen umfassenden Einblick für die Zuschauenden zu gewährleisten. Diese Vorbereitung hat weitere Vorteile: Die Inhalte, die transportiert werden sollen, können zielgerichteter in den Fokus gerückt und auch technische und praktische Hürden vorab identifiziert und beseitigt werden.

Technische Rahmenbedingungen

Technische Rahmenbedingungen der Produktion von 360°-Videos verändern sich rasant, wie so ziemlich alles im Digitalen. Noch vor einigen Jahren waren 360°-Kameras kaum erschwinglich – heute sind sie bereits für den Alltagsgebrauch erwerbbar. Allerdings gilt auch hier, dass qualitativ hochwertige Kameras, die insbesondere durch eine hohe Bildauflösung gekennzeichnet sind, weiterhin kostspielig sind. Der höhere Kostenfaktor ist allerdings mit der Nachbereitung der Filmaufnahmen verbunden. Kaum eine Aufnahme ist ohne Nachbereitung nutzbar, oft ist dafür externe Kompetenz notwendig. Vor allem, wenn noch weitere Features eingebaut werden sollen. Zwar bieten einige Kameras entsprechende Programme für die Nachbereitung an, die den Einsatz „für den Hausgebrauch“ ermöglichen, allerdings ist diese zumindest zeitaufwändig. Nötig ist hierfür in jedem Fall ein Grundverständnis in der Schnitttechnik, zumal bei 360°-Videos zu schnelle Szenenwechsel ein besonderes Problem verstärken können: Die sogenannte Motion Sickness.

Das Erlebnis der 360°-Videos kann hingegen durch einfach Mittel nochmals gesteigert werden: Das sind einerseits VR-Brillen, welche die Inhalte direkt abspielen können. Für den alltäglichen (und zahlenmäßig größeren) Gebrauch eigenen sich hingegen auch sogenannte Paper-Boxes, das sind Schachteln aus Karton, in welche ein Mobiltelefon eingelegt werden kann. Noch einfacher sind Clip-ons, kleine brillenähnliche Artikel, die einen ähnlichen Effekt haben. All diese technischen Verfeinerungen steigern das immersive Erlebnis der Lernenden, sind aber lediglich eine Ergänzung: 360°-Filme können auch ohne Hilfsmittel genutzt werden.

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Beispiel: Ausschnitt eines 360°-Videos – „Ein Arbeitstag im Landtag NRW“

Die Potenziale des Mediums

Wie in vielen anderen Bereichen des Lernens, sollte aus unserer Sicht auch im Digitalen die Interaktion einen besonderen Stellenwert einnehmen. Interaktion kann aktivieren, Neugierde wecken und motivierend wirken, nicht nur für die Einzelnen, sondern auch in sozialen Prozessen. Dieser Ansatz wurde von uns beim Aufbau und der Anwendung unserer 360°-Video mitgedacht, um ein selbstgesteuertes Lernerlebnis zu ermöglichen. Mit Hilfe der 360°-Videos können Lernende aktiv entscheiden, was in den Fokus genommen wird. Bei einem Rundgang durch den Deutschen Bundestag können Nutzer*innen beispielsweise aus dem Fenster schauen, zuhören was die Protagonist*in erzählt, versteckte Orte entdecken oder die im Nachhinein hinzugefügten Informationsboxen suchen.

Dieses Nutzungserlebnis kann auch erweitert werden, indem weitere digital erzeugte Elemente eingebunden werden. Denkbar ist, dass zum Beispiel kleine Zeichen gesucht werden müssen, die Zusatzinformationen enthalten. Dieser spielerische Aspekt könnte die Neugierde verstärken und die Lernerfahrung erweitern.

Durch dieses hohe Maß an Selbststeuerungsmöglichkeiten kann von einer aktivierenden Wirkung auf Lernende ausgegangen werden. Durch die Vielzahl an Möglichkeiten innerhalb eines 360°-Videos gibt es auch bei wiederholter Nutzung jedes Mal Neues zu entdecken. Kein Lernerlebnis ist so wie das vorherige. Beim letzten virtuellen Besuch im Bundestag war der Fokus vielleicht mehr auf dem gesprochenen Wort, was sich beim nächsten Erlebnis dann zum Beispiel mehr auf die Umgebung richtet.
Durch die Kombination aus Wort, Bild, Zusatzinformationen und der persönlichen Beziehung zu den Protagonist*innen des Videos ist der Praxisbezug des zu vermittelnden Inhalts hoch, gerade auch auf einer emotionalen Ebene.

Auf inhaltlicher Ebene wird den Nutzer*innen anhand eines konkreten Beispiels wie dem Deutschen Bundestages aufgezeigt, wie komplex politische Prozesse organisiert sind: In einem Arbeitsparlament werden Entscheidungen beispielsweise in den Ausschüssen vorbereitet und in Plenum final diskutiert und abgestimmt. Was genau sich dahinter verbirgt, wird anschaulich nähergebracht. Auf persönlicher Ebene wird transportiert, wie viel Arbeit sich hinter der oft als „black box“ wahrgenommenen Arbeit der Abgeordneten verbirgt.

Zur Diskussion gestellt

Auch wenn 360°-Videos viele Vorteile beim digitalen Lernen bieten, können sie eins nicht; die direkte Kommunikation und das Erlebnis vor Ort ersetzen. Ein Besuch des Deutschen Bundestages kann durch ein 360°-Video nicht ersetzt werden. Vor Ort zu sein, auf die Besuchstribüne zu gehen und mit Politiker*innen zu sprechen, sollte daher zum Standardrepertoire des Politikunterrichts gehören. Allerdings kommen 360°-Videos so nah wie nur möglich an dieses Erlebnis ran, vor allem näher als die Beschäftigung mit dem Sachverhalt durch Lektüre oder auch konventionelles Filmmaterial. Zudem können 360°-Videos ideal zur Vorbereitung auf einen Besuch vor Ort einsetzt werden. Sollten Kosten- oder Zeitgründe das persönliche Erlebnis unmöglich machen, sind 360°-Videos ein annähernd adäquater Ersatz. Das Argument gewinnt an Bedeutung, wenn man beispielweise an einen Einblick in die Vereinten Nationen denkt. Somit kann angenommen werden, dass dieses Medium einen Beitrag zu einer gerechteren Bildung leisten kann.

"Auch wenn 360°-Videos viele Vorteile beim digitalen Lernen bieten, können sie eins nicht; die direkte Kommunikation und das Erlebnis vor Ort ersetzen."

Sarah Röhr & Dr. Robert Lohmann

Die Kosteneffizienz bei dieser Form des digitalen Lernens stellt sich allerdings nur ein, wenn Videos frei verfügbar sind oder längerfristig und zahlreich eingesetzt werden, denn die Produktion professioneller Videos kann kostspielig werden. Erste Eindrücke können natürlich durch einfache Aufnahmen vermittelt werden. Erst wenn es in eine aufwändige Nachbereitung geht und beispielsweise computergenerierte Elemente eingebaut werden, wirkt sich dies stark auf die Gesamtkosten aus.

Plädoyer für den Einsatz

Virtuelle, teilvirtuelle oder erzeugte Realitäten verfügen über ein hohes Potenzial für zeitgemäße digitale Bildung. Es handelt sich dabei nicht um die Digitalisierung des Lernens, vielmehr nutzen sie die neuen Möglichkeiten des Digitalen, indem sie eine Verbindung zwischen Realem und Computergeneriertem erstellen, um die Lernerfahrung in der Realität zu ergänzen. Die Einsatzmöglichkeiten sind vielfältig und derzeit vor allem durch finanzielle Aspekte begrenzt. Da die Technik wie auch der Einsatz derartiger Lernangebote noch am Anfang steht, ist eine dynamische Entwicklung zu erwarten, wodurch die Produktionskosten weiter sinken werden. Für den didaktischen Einsatz ist es wichtig, dass man sich bei aller Begeisterung für die neuen Möglichkeiten bewusst macht, dass auch diese Form des Lernens nur ein Baustein sein kann und durch andere Methoden ergänzt werden sollte. Ein gesamtgesellschaftlicher Mehrwert ist zu erwarten, denn neu entwickelte Inhalte im Sinne eines Open Educational Ressources Ansatzes einer breiten Basis zur Verfügung gestellt werden. Letzteres ist auch wichtig, um den doch teils noch hohen Aufwand der mit der Herstellung von beispielsweise 360°-Videos einhergeht, optimal auszunutzen.

Sarah Röhr & Dr. Robert Lohmann

Sarah Röhr & Dr. Robert Lohmann

Der Adenauer Campus ist die digitale Lernplattform der Konrad-Adenauer-Stiftung. Sarah Röhr und Dr. Robert Lohmann gestalten auf dem Adenauer Campus digitale Lerninhalte, welche frei zugänglich genutzt werden können. Zusätzlich beschäftigen sie sich mit neuen Trends des digitalen Lernens. www.adenauercampus.de, Twitter: http://twitter.com/@adenauer_campus, Facebook: @adenauecampus.kas

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